Die amerikanische Nacht
Stiefels, als wäre sie eine Anhäufung bösartiger Tumore.
»Friedhofserde«, sagte ich. »Das heißt, dass unsere Freundin auf einem Friedhof Erde mitgenommen hat?«
»Genau. Und die ist nicht leicht zu bekommen. Man muss sie zu einer bestimmten Zeit in der Nacht holen. Der Mond muss richtig stehen. Man muss wissen, aus wessen Grab man sie nimmt. Wie die Person gestorben ist. Manche Hexen glauben, dass die beste Erde aus dem Grab eines Mörders stammt, eines Babys, das noch keine sechs Monate alt war, oder einer Person, die einen wider alle Vernunft geliebt hat. Außerdem muss man wissen, in welcher Körperregion man gräbt, ob über dem Kopf, dem Herzen oder den Füßen. Man muss auch etwas hinterlassen, als Zeichen der Dankbarkeit. Geld oder Whiskey funktionieren gut. Man mischt die Erde mit dem Goofer Dust in die Schlangenhäute.«
»Was ist Goofer Dust?«, fragte Nora.
»Die Wasserstoffbombe unter den Zaubermaterialien. Wenn man jemanden
goofert
, vergiftet man ihn spirituell. Es kommt aus dem Kongo, das Wort ›kufwa‹ bedeutet ›sterben‹. Das Pulver ist eigentlich gelblich, aber wenn man die Friedhofserde daruntermischt, ist es dunkel und nicht so gut sichtbar. Es hat sehr große Macht, weil es den Verstand zerfrisst, ohne dass man es bemerkt. Es vergiftet das Denken und die Fähigkeit zu lieben. Es reißt die besten Freunde auseinander, isoliert einen und bringt einen dazu, sich gegen die Welt zu stellen, so dass man an die Grenzen gedrängt wird, an die Randbereiche des Lebens. Es treibt einen in den Wahnsinn, was auf eine Art schlimmer ist als der Tod.«
»Also hatte unsere Freundin eine Art Doktortitel in Hexerei«, sagte ich.
»Sie war sehr beschlagen in schwarzer Magie. Ganz klar.«
»Und was ist schwarze Magie? Voodoo? Hoodoo?«
»Es kann verschiedene Dinge bedeuten. Es ist ein Sammelbegriff für alle Formen von Magie, die zu bösen Zwecken eingesetzt wird. Ich bin da keine Expertin. Meine Ausbildung betrifft die Erdgöttin, Fruchtbarkeitszauber, spirituelle Reinigung, solche Dinge. Viele der schwarzen Sachen passieren im Untergrund. Die werden von Generation zu Generation weitergegeben. Geheime Treffen mitten in der Nacht. Alte ledergebundene Bücher voller rückwärts aufgeschriebener Zaubersprüche. Dachböden, auf denen richtig düstere Zutaten gehortet werden, Hirschföten, Eidechsenfäkalien, Babyblut. Das ist nichts für schwache Mägen. Aber es
funktioniert
. Kommt Ihre Freundin aus einer Familie von Okkultisten?«
»Möglicherweise«, sagte ich.
»Naja, sie
dachte
, dass sie verflucht war. Sie hat sich sehr bemüht, den Fluch zu stoppen und auf den Verursacher zurückzuwerfen. Sie wollte ihn töten. Danach sieht es für mich aus. Vielleicht hat sie nicht damit gerechnet, dass Sie da durchlaufen, sondern jemand anderes, vielleicht jemand, der für ihren Fluch verantwortlich war. Ich würde vorschlagen, Sie suchen Ihre Freundin und fragen sie.«
Nora warf mir einen vorsichtigen Blick zu.
»Einen Rat kann ich Ihnen geben«, fuhr Cleo fort und räusperte sich. »Kratzen Sie es mit einem Messer oder einer Rasierklinge ab. Passen Sie auf, dass es nicht Ihre Haut berührt. Wickeln Sie es in Zeitungspapier ein und werfen Sie alles an einer Kreuzung oder einem Frischwasserfluss weg.«
»Da kommt der Hudson wohl nicht in Frage.«
»Ich gebe Ihnen auch noch ein paar Umkehrkerzen mit.« Sie ging wieder zur hinteren Wand, hockte sich neben einen Schrank und wühlte in den Regalen. »Noch einmal, ich habe nicht viel Erfahrung mit so etwas. Sie sollten einen Medizinmann aufsuchen, der sich auf schwarze Magie spezialisiert hat.«
»Und wo finden wir so einen? In Disneyworld?«
»Googeln Sie’s. Da stoßen Sie auf ein paar Namen. Die richtig echten sitzen alle in den Bayous von Louisiana.« Cleo kam zum Tisch zurück und überreichte Nora zwei Kerzen, schwarz am Docht und unten weiß.
»Wie viel kosten die? Ein paar Hundert Dollar?«
»Die sind gratis. Es ist unmoralisch, jemandem Geld abzunehmen, der unter schwarzer Magie leidet. Das ist, als würde jemand mit einer tödlichen Schusswunde in die Notaufnahme kommen. Man tut, was man kann, um das Leben zu retten. Geld spielt keine Rolle.«
Nachdenklich rollte Cleo ihren Tigerzahn zwischen den Fingern und sah zu, wie wir unsere Schuhe anzogen. Nora packte die Kerzen ein und erklärte ihr, dass wir eigentlich zu dritt in dem Zimmer gewesen waren. Also holte Cleo eine dritte Umkehrkerze und eskortierte uns durch den Laden zum Ausgang.
Es
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