Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
was?«
Thabo antwortete nicht. Doch Nombeko entfernte das Linoleum und begann zu graben.
»Hab ich’s mir doch gedacht«, sagte sie, als sie fand, was sie gesucht hatte.
Dann holte sie Wasser und einen Lappen und wusch Thabo, zog ihn aus der Hütte und opferte ihr einziges weißes Laken, um seinen Leichnam zu bedecken. Ein bisschen Würde verdiente er trotz allem. Viel nicht. Aber ein bisschen.
Nombeko nähte Thabos sämtliche Diamanten sofort in den Saum ihrer einzigen Jacke ein, ehe sie nach Hause ging und sich wieder schlafen legte.
Die Latrinenchefin erteilte sich selbst die Erlaubnis, am nächsten Morgen auszuschlafen. Als sie das Büro zu später Stunde betrat, waren schon alle Latrinentonnenträger da. In Abwesenheit der Chefin waren sie inzwischen bei ihrem dritten Vormittagsbierchen und hatten seit dem zweiten die Arbeit ruhen lassen, zugunsten einer Diskussion der Frage, warum die Inder eine unterlegene Rasse waren. Der großmäuligste von ihnen erzählte gerade die Geschichte von dem Inder, der versucht hatte, ein Leck in seinem Hüttendach mit Wellpappe zu flicken.
Nombeko unterbrach die Männer, sammelte alle noch nicht geleerten Bierflaschen ein und erklärte, sie habe den Verdacht, dass ihre Kollegen nichts anderes im Kopf hatten als den Inhalt der Latrinentonnen, die zu leeren ihre Aufgabe war. Waren sie wirklich zu dumm, um zu begreifen, dass Dummheit ein rassenübergreifendes Phänomen war?
Das Großmaul erwiderte, die Chefin könne wohl nicht verstehen, dass man nach den ersten fünfundsiebzig Tonnen am Morgen in aller Ruhe ein Bierchen trinken wolle, ohne sich dabei irgendwelches Gefasel anhören zu müssen, wie wahnsinnig gleich und gleichberechtigt die Menschen doch sind.
Nombeko erwog, ihm zur Antwort eine Klopapierrolle an den Schädel zu werfen, kam jedoch zu dem Schluss, dass es schade um die Rolle gewesen wäre. Stattdessen befahl sie, die Arbeit wieder aufzunehmen.
Dann ging sie nach Hause in ihre Hütte. Und sagte sich einmal wieder:
»Was tue ich hier?«
Am nächsten Tag war ihr fünfzehnter Geburtstag.
* * * *
An ihrem fünfzehnten Geburtstag hatte Nombeko ein seit Langem angesetztes Budgetgespräch mit Piet du Toit vom Sanitätsamt der Stadtverwaltung von Johannesburg. Diesmal war er besser vorbereitet und war die Zahlen genau durchgegangen. Jetzt würde er es dieser Zwölfjährigen aber zeigen.
»Sektor B hat das Budget um elf Prozent überschritten«, sagte Piet du Toit und sah Nombeko über den Rand seiner Brille an, die er eigentlich nicht brauchte, die ihn aber ein bisschen älter aussehen ließ.
»Das hat Sektor B ganz bestimmt nicht«, sagte Nombeko.
»Wenn ich sage, dass Sektor B das Budget um elf Prozent überschritten hat, dann ist das so«, sagte Piet du Toit.
»Und wenn ich sage, dass Piet du Toit so rechnet, wie es seinem Verstand entspricht, dann ist das auch so. Geben Sie mir ein paar Sekunden«, sagte Nombeko, riss Piet du Toit seine Kalkulation aus der Hand, überflog die Zahlen, zeigte auf Zeile zwanzig und sagte:
»Den Rabatt, den ich ausgehandelt hatte, haben wir in Form von Bonuslieferungen bekommen. Wenn Sie den somit herabgesetzten De-facto-Preis berechnen und nicht einen fiktiven Listenpreis, werden Sie feststellen, dass Ihre elf Phantomprozent nicht mehr existieren. Außerdem hat er plus und minus verwechselt. Wenn wir rechnen würden, wie es der Herr Assistent will, dann hätten wir das Budget um elf Prozent unterschritten . Was übrigens genauso falsch wäre.«
Piet du Toit wurde rot. Kapierte dieses Mädchen nicht, wo ihr Platz war? Wo käme man denn da hin, wenn jeder x-Beliebige entscheiden könnte, was richtig und was falsch ist? Also sagte er:
»Wir haben im Büro schon mehrfach über dich gesprochen.«
»Aha«, sagte Nombeko.
»Wir finden die Zusammenarbeit mit dir sehr anstrengend.«
Nombeko begriff, dass sie auf dem besten Wege war, hinausgeworfen zu werden wie ihr Vorgänger.
»Aha«, sagte sie.
»Ich befürchte, wir müssen dich versetzen. Zurück in die normale Truppe.«
Das war ja tatsächlich noch besser als das, was ihrem Vorgänger angeboten worden war. Nombeko dachte sich, dass der Assistent heute wohl richtig gut gelaunt sein musste.
»Aha«, sagte sie.
»Ist ›aha‹ das Einzige, was du zu sagen hast?«, fragte Piet du Toit verärgert.
»Na ja, ich könnte natürlich versuchen, Herrn du Toit zu erklären, was für ein Idiot Herr du Toit ist, aber es wäre wohl vergebliche Liebesmüh, das habe ich in meinen
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