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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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auch nicht. Außerdem gab es in diesem Teil von Soweto überhaupt keinen Arbeitsmarkt, und besonders viele Arbeitsfähige im Grunde auch nicht.
    Doch die Darmentleerung funktioniert im Allgemeinen auch bei den elendesten Menschengestalten auf unserer Erde, so dass Nombeko etwas hatte, womit sie ein wenig Geld verdienen konnte. Und als ihre Mutter tot und begraben war, konnte sie den Lohn ganz für sich behalten.
    Um die Zeit totzuschlagen, während sie ihre Lasten schleppte, hatte sie schon als Fünfjährige angefangen, die Tonnen zu zählen:
    »Eins, zwei, drei, vier, fünf …«
    Je älter sie wurde, desto schwieriger gestaltete sie ihre Übungen, damit es auch eine Herausforderung blieb:
    »Fünfzehn Tonnen mal drei Touren mal sieben Träger plus einer, der rumsitzt und nichts tut, weil er zu besoffen ist … das macht … dreihundertfünfzehn.«
    Nombekos Mutter hatte außerhalb des Dunstkreises ihrer Lösungsmittelflasche nicht mehr viel wahrgenommen, aber sie merkte doch, dass ihre Tochter addieren und subtrahieren konnte. Deswegen begann sie während ihres letzten Lebensjahres, sie jedes Mal zu rufen, wenn eine Lieferung Tabletten in verschiedenen Farben und Wirkstoffgraden zwischen den Hütten aufgeteilt werden musste. Eine Flasche Lösungsmittel ist eine Flasche Lösungsmittel, aber wenn Tabletten mit fünfzig, hundert, zweihundertfünfzig und fünfhundert Milligramm je nach Wunsch und Finanzkraft verteilt werden sollen – da muss man die Grundrechenarten schon ein bisschen auseinanderhalten können. Und das konnte die Zehnjährige. Und wie!
    Zum Beispiel kam es vor, dass sie in der Nähe ihres Chefs war, wenn er mit seinem monatlichen Gewichts- und Mengenbericht kämpfte.
    »Also fünfundneunzig mal zweiundneunzig«, murmelte er. »Wo ist der Taschenrechner?«
    »Achttausendsiebenhundertvierzig«, sagte Nombeko.
    »Hilf mir lieber suchen, meine Kleine.«
    »Achttausendsiebenhundertvierzig«, beharrte Nombeko.
    »Was redest du da?«
    »Fünfundneunzig mal zweiundneunzig sind achttausendsiebenhundert …«
    »Und woher willst du das wissen?«
    »Tja, ich denk mir das so: fünfundneunzig sind fünf weniger als hundert, und zweiundneunzig acht weniger als hundert, und wenn man das jetzt umdreht und die Differenz jeweils von der anderen Zahl abzieht, kommt man beide Male auf siebenundachtzig. Und fünf mal acht ist vierzig. Siebenundachtzig vierzig. Achttausendsiebenhundertvierzig.«
    »Warum denkst du so?«, fragte ihr verblüffter Chef.
    »Weiß ich nicht«, erwiderte Nombeko. »Können wir jetzt mit unserer Arbeit weitermachen?«
    An diesem Tag wurde sie zur Assistentin des Chefs befördert.
    Doch die Analphabetin, die rechnen konnte, war zunehmend frustriert, weil sie nicht verstand, was die Machthaber in Johannesburg in den ganzen Dekreten schrieben, die auf dem Schreibtisch ihres Chefs landeten. Und der hatte selbst Schwierigkeiten genug mit den Buchstaben. Er buchstabierte sich durch die auf Afrikaans abgefassten Texte und blätterte parallel in einem Englischlexikon, um sich dieses Kauderwelsch wenigstens in eine Sprache zu übersetzen, die ein Mensch verstehen konnte.
    »Was wollen sie denn diesmal?«, fragte Nombeko ihn manchmal.
    »Dass wir die Säcke besser füllen«, antwortete ihr Chef. »Glaub ich jedenfalls. Oder dass sie vorhaben, die Waschhäuser zu schließen. Das ist ein bisschen unklar.«
    Der Chef seufzte. Und seine Assistentin konnte ihm nicht helfen. Deswegen seufzte sie auch.
    Doch dann geschah es zufällig, dass die dreizehnjährige Nombeko in der Umkleide der Latrinenleerer von einem schmierigen alten Mann begrapscht wurde. Der alte Schmierlappen kam allerdings nicht weit, denn das Mädchen brachte ihn flugs auf andere Gedanken, indem sie ihm eine Schere in den Oberschenkel rammte.
    Am nächsten Tag suchte sie den alten Mann auf der anderen Seite der Latrinenreihe von Sektor B auf. Er saß mit einem Verband am Oberschenkel auf einem Campingstuhl vor seiner grün gestrichenen Hütte. Auf dem Schoß hatte er … Bücher?
    »Was willst du hier?«, fragte er.
    »Ich glaube, ich hab gestern meine Schere in Onkel Thabos Oberschenkel vergessen, und die hätte ich gern zurück.«
    »Die hab ich weggeworfen«, behauptete der alte Mann.
    »Dann schuldest du mir eine Schere«, sagte das Mädchen. »Wie kommt es eigentlich, dass du lesen kannst?«
    Der alte Schmierlappen Thabo war halb zahnlos. Sein Oberschenkel tat ihm mächtig weh, und er verspürte wenig Lust, mit diesem bösartigen Mädchen

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