Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
Viertel über Thabo Bescheid, somit waren die Möglichkeiten, sich weitere literarische Erlebnisse zu verschaffen, eher begrenzt. Da half es auch nichts, dass er immer wildere Lügen von seinen angeblichen Reisen erzählte, so wilde Lügen wie seinerzeit König Leopold II . von Belgien, der behauptete, den Eingeborenen in Belgisch-Kongo ginge es gut, während er allen, die sich weigerten, kostenlos für ihn zu arbeiten, Hände und Füße abhacken ließ.
Nun ja, Thabo sollte seine Strafe bekommen (genau wie der belgische König übrigens, der erst seine Kolonie loswurde, dann sein ganzes Geld mit seinem französisch-rumänischen Lieblingsfreudenmädchen verjubelte und schließlich starb). Doch zuerst verließ er Port Elizabeth, reiste nach Norden und landete in Basutoland, wo es angeblich die Frauen mit den tollsten Kurven gab.
Dort fand er Gründe, mehrere Jahre zu bleiben, wechselte nur die Stadt, wenn die Umstände es erforderten, fand dank seiner Lese- und Schreibkenntnisse immer Arbeit und wurde schließlich sogar Chefunterhändler für alle europäischen Missionare, die Zugang zu diesem Land und seiner unaufgeklärten Bevölkerung suchten.
Der Häuptling des Basutovolkes, Seine Exzellenz Seeiso, sah nicht ein, was für einen Wert die Taufe für sein Volk haben sollte, doch er begriff durchaus, dass das Land sich von den Buren befreien musste. Als ihm die Missionare – auf Thabos Initiative – den Vorschlag machten, mit Waffen für die Erlaubnis zu bezahlen, ihre Bibeln zu verteilen, biss der Häuptling sofort an.
So kam es, dass Priester und Diakone einfielen, um das Basutovolk vom Bösen zu erlösen. Im Gepäck hatten sie Bibeln, automatische Waffen und die eine oder andere Tretmine.
Die Waffen hielten die Feinde auf Abstand, während die Bibeln von den verfrorenen Bergbewohnern verheizt wurden. Sie konnten ja doch nicht lesen. Als das den Missionaren klar wurde, änderten sie ihre Taktik und bauten innerhalb kürzester Zeit eine ganze Reihe von christlichen Tempeln.
Thabo arbeitete verschiedentlich als Pfarrersassistent an und entwickelte eine eigene Form des Handauflegens, die er selektiv und im Verborgenen praktizierte.
Doch dann ereilte ihn eine weitere Panne an der Liebesfront. Als nämlich in einem Bergdorf aufflog, dass das einzige männliche Mitglied des Kirchenchors mindestens fünf der neun jungen Mädchen ewige Treue geschworen hatte. Der englische Pastor vor Ort hatte die ganze Zeit schon geargwöhnt, dass Thabo ein falsches Spiel trieb. Singen konnte er nämlich gar nicht.
Der Pastor verständigte die Väter der fünf Mädchen, die ein traditionelles Verhör des Verdächtigen beschlossen: Thabo sollte bei Vollmond aus fünf verschiedenen Richtungen mit Speeren durchbohrt werden, während er mit nacktem Hintern in einem Ameisenhaufen saß.
Beim Warten auf den richtigen Stand des Mondes wurde Thabo in eine Hütte gesperrt, die der Pastor so lange im Auge behielt, bis er einen Sonnenstich bekam. Da ging er stattdessen an den Fluss, um ein Nilpferd zu bekehren. Vorsichtig legte der Mann dem Tier eine Hand auf das Maul und verkündete, Jesus sei bereit, ihm …
Weiter kam er nicht, denn das Nilpferd riss das Maul auf und biss ihn in der Mitte durch.
Nun, da der Pfarrer und Gefängniswärter weg war, gelang es Thabo mit Pablo Nerudas Hilfe, die weibliche Wache zu überreden, ihm aufzusperren, damit er fliehen konnte.
»Und was wird jetzt aus dir und mir?«, rief sie ihm nach, während er in die Savanne hinausrannte, so schnell ihn seine Füße trugen.
»Ja, ich liebe dich nicht mehr«, rief Thabo zurück.
Hätte man es nicht besser gewusst, man hätte meinen können, dass Thabo unter dem Schutze des Herrn stand, denn auf seinem zwanzig Kilometer langen Nachtspaziergang in die Hauptstadt Maseru begegnete er weder Löwen, Geparden oder Nashörnern noch anderem Getier. Als er am Ziel war, besorgte er sich einen Job als Berater bei Häuptling Seeiso, der ihn noch von früher kannte und wieder bei sich willkommen hieß. Der Häuptling verhandelte gerade die nationale Unabhängigkeit mit den hochnäsigen Briten, erzielte aber keine Erfolge, bis sich Thabo einschaltete und ihnen erklärte, wenn die Herrschaften weiter solche Fisimatenten machen wollten, könne Basutoland in Erwägung ziehen, sich an Joseph Mobuto in Kongo-Kinshasa zu wenden.
Die Briten erstarrten. Joseph Mobuto? Der Mann, der die Welt gerade hatte wissen lassen, dass er seinen Namen ändern wollte – in »Der Allmächtige
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