Die andere Haut: Roman (German Edition)
den bunt bemalten Wänden, um die niedrigen Tische sind abgewetzte Sitzkissen verteilt.
Malin verkörpert den Prototyp einer nordischen Schönheit, sportlich und braungebrannt, mit honigblonder Mähne und blaugrünen Katzenaugen. Noch vor wenigen Jahren hat sie leidlich erfolgreich als Model gearbeitet, bis ihr ein Autounfall eine Narbe im Gesicht und das Ende ihrer Karriere bescherte. Kurz darauf entdeckte sie ihre Leidenschaft fürs Kochen und nahm zwölf Kilo zu, die sich ansehlich über ihren hochgewachsenen Körper verteilen. Im „Sol y suerte“ zaubert sie täglich neue Gerichte, vegetarische zumeist, Quiches und Risottos und Gratins, weil sich die RucksackTouristen, die hier im Ort Station machen, in der Attitüde romantisch-tierlieber Freizeit- ippies gefallen. Für die Zeit der Reise und vielleicht auch noch später, wer weiß.
Wenn Malin die Küche verlässt und das Lokal betritt, verstummen die männlichen Gäste mitten im Satz, um sie offenen Mundes anzustarren, und die Frauen lächeln nachsichtig, weil Malin ein sympathisches Lächeln hat, ein ungeschminktes Gesicht, verschwitzte Haare und eine Narbe im Gesicht.
Ihre Freundin Linda ist einen Kopf kleiner, ein Energiebündel mit kurzem, dunklem Lockenkopf, dicht bewimperten Rehaugen und Grübchen an den Wangen. Ständig duftet sie nach Salzlakritz, das sie sich aus der Heimat schicken lässt, ihre Zunge ist ganz braun davon, und wenn sie von Schweden spricht, bekommt ihr Blick einen sonderbaren Glanz. Liebevoll und doch bar jeder Wehmut. Sie ist Lehrerin für Biologie, Chemie und Sport. Jetzt mixt sie hinter der Theke in Windeseile die köstlichsten Cocktails und gibt jedem Gast, gleich welchen Geschlechts, das Gefühl, sie flirte nur mit ihm.
Gerade flirtet sie mit Jan, der an der Theke steht, um neue Getränke zu holen, während Lara auf ihn wartet und ihre Gedanken schweifen lässt. Was, wenn sie mit David hier säße? Plötzlich vermisst sie ihn mit einer Intensität, die sie erstaunt. Was hatten sie sich nur dabei gedacht, mit diesen Junggesellen-Urlauben kurz vor der Hochzeit, was wäre so schlimm gewesen an romantischen Flitterwochen danach, wie sie sich jedes normale Brautpaar wünscht? Hatten sie wirklich geglaubt, sie könnten auf ewig beides haben, Nähe und Freiheit, zwei Ichs, ein Wir, keine Kompromisse, nur Liebe und Ehrlichkeit und eine Bindung, die stärker ist als alle Konventionen? Gott, diese ganze Gier nach mehreren Leben in einem!
Ja, überlegt Lara, ja, das hatten sie wohl, und sie ist so glücklich gewesen, endlich jemanden gefunden zu haben, der zu fühlen schien wie sie, ohne große Sehnsüchte nach Regeln oder Kontrolle. Jemanden, der Liebe nicht an Besitzdenken und Ansprüche knüpfte, nur an Vertrauen und Inningkeit und Lust. Doch jetzt, jetzt würde sie am liebsten einem Impuls folgen, zu ihm fliegen und sagen: „Ich gehöre zu dir. Zu niemandem sonst, und wenn ich noch einmal etwas anderes denke oder fühle oder sage, dann bitte halt mich fest!“ Sie ließe ihren Kopf auf seine Schulter sinken und er striche ihr durchs Haar.
Jan kehrt mit ihren frischgepressten Säften zurück. „Was ist los, ist dir nicht gut?“
Er ist wirklich ein Engel, denkt sie. Spürt sofort, wenn etwas nicht stimmt. „Ich dachte nur an David.“
„Schlechtes Gewissen?“
„Ich hab nichts getan!“
„Noch nicht.“ Er lächelt. „Hör zu, wir wissen beide, dass du dich bei Ricardo melden wirst. Und – ich kenne ihn nicht, deinen David, aber ich vermute, er weiß das auch. So, wie du ihn mir beschrieben hast …“ Er trinkt einen Schluck. „Waren diese Reisen deine Idee oder seine?“
„Ich weiß nicht, ich glaube …“ Lara überlegt. „Ich glaube, seine. Aber ich habe vorher ständig davon geschwärmt, noch einmal hierher zu wollen, es hätte also auch von mir kommen können.“
„Ist er allein unterwegs?“
„Natürlich!“ Doch in ihr Erstaunen über diese Frage mischen sich plötzlich Zweifel. Was, wenn nicht? Änderte das etwas? Wäre sie verletzt, wenn sie von einer Frau wüsste, die ihn begleitet, so wie Jan es hier mit ihr tut? Wenn er eine alte Urlaubsliebe träfe oder eine neue? Der Stich, den sie bei diesen Gedanken spürt, ist merkwürdig intensiv und fügt sich dennoch ganz natürlich und beinahe tröstend in ihr Fühlen. Ohne dass er sie gefangen nimmt. Als sehne sich ihre Seele nach einem Schmerz, der ihr Verlangen nach Rausch kanalisiert.
Sie würde David einfach fragen in ihrer nächsten Mail. Es wird ohnehin
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