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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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in kleinen Rinnsalen ihre Arme hinunterliefen. Annie lachte wieder. »Verstehst du das denn nicht? Wir schicken Daddy Beeren.«
    »In den Himmel!«, rief Zach. »Und eines Tages fahre ich auch in den Himmel und besuche ihn! Mit Thomas, der kleinen Lokomotive!«
    »Genau genommen«, sagte Annie und hielt inne, um mich verschmitzt anzugrinsen, »schicken wir ihm
Rubus fruticosus
.« Das war einer der ersten lateinischen Pflanzennamen, die mein Vater mir beigebracht hatte. Und ich Annie. Und wie ich, liebte sie es, sich die Namen zu merken.

    Als wir später zusammen aßen, erzählte ich ihnen, dass wir den Laden umorganisieren und dort Picknickkörbe, leckere Mittagessen und Spiele verkaufen wollten. Ich erinnerte sie daran, dass Daddys Großvater den Laden gegründet hatte, wie lange er schon in der Familie war, und dass er nun uns, Onkel David, Nonna und Nonno gehörte. Dass wir uns immer an Daddy erinnern würden, wenn wir im Laden wären, und sie beide jetzt eine große Rolle dabei spielten, weil ich ihre Hilfe brauchte. Und eines Tages würde er ihnen gehören, wenn sie ihn wollten.
    »Daddy hat Picknicks geliebt«, sagte Annie.
    »Ja, das ist wahr.«
    »Daddy war der Picknick-
KREUZRITTER
!«, rief Zach und sprang auf, wobei ich schnell ein paar Becher festhielt, damit sie nicht umfielen.
    »Ja, das stimmt.«
    »Mommy?«, fragte er. »Ich will auch ein Picknick-Kreuzritter sein. Kann ich die Decke hier als Umhang benutzen?«
    »Nein, mein Kleiner, das geht nicht.«
    »Weil unsere ganzen Sache draufstehen?«
    »Genau deshalb. Du bist ein wirklich schlauer Kreuzritter.«
    »Sogar ohne Umhang?«
    »Sogar ohne Umhang.«

    Die Generalüberholung von Capozzi’s Market wurde unverzüglich in Angriff genommen. Die ganze Familie half mit – alle Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen. Am folgenden Wochenende beteiligten sich fast alle Einwohner von Elbow. Ich schleppte kistenweise Dosenware, demontierte Regalteile, bis meine Arme, Beine und mein Rücken schmerzten, und machte am nächsten Morgen da weiter, wo ich aufgehört hatte. Frank half einem Team von Leuten, an der Rückseite vom Laden eine Art Wintergarten für die Jahreszeit anzubauen, in der der Regen selbst hartgesottene Open-Air-Picknicker abschreckte.
    Einmal meinte Frank, er freue sich schon darauf, seinen Morgenkaffee am Kamin zu trinken, und ich konnte in seinen Augen sehen, wie sehr er Joe vermisste. Ich hatte ihn seit Joes Tod viel zu selten gesehen. Er war ein paarmal vorbeigekommen, aber wir waren dann immer verlegen und traurig gewesen, denn wir beide vermissten den gleichen Menschen, und keiner konnte ihn für den anderen ersetzen. Einmal war sogar Lizzie gekommen, mit einer großen Kühltasche voller Getränke und Snacks. Sie hatte mir zugenickt, aber mit David geredet, nicht mit mir. Dann war sie wieder gegangen, hatte zum Abschied gewunken und viele der Anwesenden umarmt. Ich fragte mich, ob sie mit Paige in Kontakt war, ob die beiden sich über meine
Welche Absicht verfolgst du
-Frage lustig machten.
    Aber seit unserem Gespräch hatte Paige nur noch selten angerufen, um mit Annie zu sprechen, und es kam mir so vor, als zöge sie sich wieder mehr zurück. Oder zumindest redete ich mir das ein.

    Zunächst lag die Tatsache, dass wir Joes Laden vollkommen auseinandernahmen, schwer wie Morgennebel auf uns, und wir gingen zögerlich und schweigend zu Werke. Ich dachte: Warum haben wir das nicht schon vor langer Zeit gemacht, Joe und ich zusammen? Warum musste er sterben, bevor wir das Problem angingen? Aber meine Stimmung hob sich mit dem Gefühl, dass Joe uns anfeuerte. Ich sah, wie es für ihn gewesen sein musste, als ihm das Ganze über den Kopf zu wachsen begann und immer mehr nach Scheitern aussah, und dass er jetzt, wo immer er war, vielleicht Erleichterung verspürte. Oder sogar Stolz.
    Ich hing gerade die Familienfotos ab, als Joe senior kam. »Wo hängst du die hin?«, fragte er.
    »Ich bin noch nicht sicher, aber ganz bestimmt an eine Stelle, wo man sie gut sehen kann. Hast du eine Idee?«
    Er nahm mir ein altes Schwarzweißfoto aus der Hand, auf dem Großmutter Rosemary mit zwei Jungen vor dem Laden stand. Jemand hatte mit schwarzer Tinte
Capozzi’s Market, 1942
in die Ecke geschrieben.
    »Welcher bist du?«, fragte ich.
    Er zeigte auf den Jüngeren von beiden, einen Knaben von etwa sieben oder acht Jahren, mit einer Schiebermütze auf dem Kopf und einem Schmutzfleck an der Wange. Der andere Junge schien im Teenageralter. »Ich wusste gar

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