Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
erklärte sie, und mit denen hätte die Mannschaft vielleicht sogar Aufstiegschancen. Andererseits müssten weiße Spieler aus dem Team ausscheiden, um Platz für die Schwarzen zu machen. Die Cheerleaderinnen von der Byler High, die allesamt mit Jungs aus dem Team zusammen waren, hatten gesagt, sie würden aus dem Trupp austreten, wenn ihre Freunde gehen müssten, weil sie keine Lust hätten, einen Haufen Farbige anzufeuern, die ihren Freunden den Stammplatz im Team abspenstig gemacht hatten.
Die Cheerleaderinnen kämen alle aus wohlhabenden Familien, sagte Ruth. Sie waren die Töchter der Ärzte, der Anwälte, des Autohändlers, des Mannes, dem der Country Club gehörte. Jungs vom Hügel schafften es manchmal ins Footballteam, aber noch nie war ein Mädchen vom Hügel Cheerleaderin geworden. Das gab’s einfach nicht. Eine Cheerleaderin musste ein bestimmter Typ sein, und dieser Typ kam auf dem Hügel nicht vor. Die Mädchen auf dem Hügel wussten das, weswegen sie erst gar keine Anstalten machten, für die Aufnahme zu trainieren.
»Bis heute«, sagte Ruth. »Wenn nämlich ein paar von den Cheerleaderinnen, die der richtige Typ sind, aufhören, weil sie keine Nigger anfeuern wollen – entschuldigt den Ausdruck, den haben die Mädchen benutzt, ich weiß, dass man sie nicht so nennen soll –, dann haben andere die Chance, ins Team zu kommen.« Sie fing an, Deckel auf die Gläser zu schrauben, die Tante Al gefüllt hatte. »Und das ist der Silberstreif bei dieser ganzen Integrationskiste. Ich werde also für das Cheerleader-Team trainieren. Mir macht es nichts aus, farbige Jungs anzufeuern.«
Ein paar andere Mädchen vom Hügel wollten mit ihr zusammen trainieren, und die kämen gleich, um ein bisschen zu üben. »Ihr beide könnt doch mitmachen«, schlug Ruth vor.
»Gern«, sagte ich.
»Klar«, sagte Liz mit dem Tonfall, den sie immer hatte, wenn sie von etwas nicht so richtig überzeugt war.
»Okay, prima«, sagte Ruth. »Aber dann müssen wir euch die Haare machen.«
»Geht ihr mal«, sagte Tante Al. »Den Rest schaff ich allein.«
Ruth führte uns hinters Haus, wo ein Teil der überdachten Veranda in ein winziges Schlafzimmer mit schräger Decke ausgebaut worden war. Wir drei passten gemeinsam kaum rein. Auf ihrer Kommode war ein Foto von einem jungen Mann, der eine schwarz umrandete Brille auf der Nase hatte und eine Khaki-Uniform trug. »Das ist Truman«, sagte sie.
Liz und ich betrachteten das Foto. Truman hatte einen ernsten Gesichtsausdruck, dunkle Augen und einen breiten Mund.
»Er hat Augen wie du und Bean«, sagte Liz.
»Die meisten von uns Wyatts haben die gleichen dunklen Augen«, sagte Ruth. »Einem alten Gerücht nach haben wir jüdisches Blut in der Familie, aber Mom meint, unser Aussehen käme bloß von dunklen irischen Vorfahren.«
»Er sieht schlau aus«, sagte ich. »Nicht wie ein Soldat.«
»Da hat sich Bean mal wieder ziemlich ungeschickt ausgedrückt«, sagte Liz. »Das war als Kompliment gemeint.«
Ruth lachte. »Truman ist schlau. Vielleicht liegt das ja auch am jüdischen Blut. Die anderen Soldaten nennen ihn Professor Poindexter, weil er eine Brille trägt und ständig irgendwelche Bücher liest.«
Ruth stellte das Foto wieder hin. Sie sagte, sie wolle uns ihre Aussteuertruhe zeigen, für den Fall, dass sie mal heiratet. Sie zog einen kleinen Koffer unter dem Bett hervor und machte ihn auf. Darin waren Geschirrtücher, Badetücher, Platzdeckchen, eine Wolldecke und Topfhandschuhe. Sie treffe Vorkehrungen für die Zukunft, sagte sie, aber sie verlasse sich nicht hundertprozentig darauf, dass sie heiraten würde. Sie zählte zu den Besten im Sekretärinnenkurs an der Byler High und konnte fünfundneunzig Wörter pro Minute tippen. Sie hatte nicht vor, in der Weberei zu arbeiten, was natürlich nicht heißen sollte, dass sie ihre Ma nicht bewunderte. Gerade ihre Ma hatte sie darin ermuntert, einen guten Job im Büro anzustreben.
»Ich mach ein bisschen Büroarbeit für Mr Maddox«, sagte Liz.
»Hab ich gehört«, sagte Ruth. »Ich hab mal für die Familie gearbeitet. Sieh dich bei dem vor.«
»Wieso?«, fragte ich.
»Sieh dich einfach vor.«
Ich blickte Liz an, wartete, ob sie sagen würde, wir wüssten von Mr Maddox, dass er Ruth als Babysitterin hatte feuern müssen. Liz sah kurz zu mir rüber und schüttelte fast unmerklich den Kopf, als fände sie das ganze Thema zu peinlich, um es anzusprechen, und dann sagte sie: »Und was sollen wir jetzt mit unserem Haar
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