Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
machen. In diesem Jahr dürfen zum ersten Mal Schwarze auf unsere Schule, ob uns das passt oder nicht.«
In den fünfziger Jahren, so erklärte sie, hätte das Oberste Gericht entschieden, dass schwarze Kinder auf weiße Schulen gehen durften. Aber in fast allen Südstaatenstädten gingen die schwarzen Kinder weiter auf schwarze Schulen, und weiße Kinder gingen weiter auf weiße Schulen.
Während Tante Al noch redete, kam Onkel Clarence aus dem Garten in die Küche. Er nahm seinen Strohhut ab, wischte sich über die Stirn und ging zur Spüle, wo er Wasser in ein Glas laufen ließ und einen kräftigen Schluck trank. »Jeder durfte auf die Schule gehen, auf die er gehen wollte, und die meisten entschieden sich für Schulen, auf die ihresgleichen ging«, sagte er. »Das ist normal. Weiße Enten sind gern mit weißen Enten zusammen, und Stockenten mit Stockenten. Das nennt man Wahlfreiheit. Was Amerikanischeres gibt’s doch gar nicht.«
»Das Oberste Gericht war da anderer Ansicht«, sagte Tante Al. Im Vorjahr hatte das Gericht für sämtliche Schulen der Südstaaten Integration angeordnet. Deshalb hatte die Schulbehörde von Byler beschlossen, die Nelson High, die seit fünfzig Jahren die Schule der Schwarzen war, zu schließen und in eine Berufsschule umzuwandeln. Ab diesem Jahr würden die Kinder von Nelson High auf die Byler High wechseln.
»Da stecken diese verdammten Harvard-Leute hinter«, sagte Onkel Clarence. »Die haben diesen Krieg angefangen und unseren Jungs gesagt, sie müssten für ihr Land kämpfen. Dann haben sie sich das mit dem Krieg wieder anders überlegt und angefangen, über unsere Jungs herzuziehen, weil sie ihrem Land dienen. Und jetzt kommen diese Harvard-Leute daher und wollen uns erzählen, wie wir unsere Schulen zu führen haben.« Er hustete und schüttete den Rest Wasser in die Spüle. »Das regt mich zu sehr auf, da mach ich lieber, dass ich zurück zu meinen Tomaten komme.« Er nahm seinen Strohhut und murmelte auf dem Weg nach draußen noch: »Enten haben mehr Grips als dieses bescheuerte Oberste Gericht.«
21
S päter in der Woche, als Mr Maddox für keine von uns Arbeit hatte, fuhren Liz und ich rüber zum Weberhügel. Wir waren gerade dabei, unsere Fahrräder im Vorgarten der Wyatts abzustellen, als ein großes Mädchen, etwa in Liz’ Alter, aus der Tür gelaufen kam. Sie hatte ein breites Lächeln, genau wie Tante Al, und langes, dunkles Haar, das mit Spangen nach hinten gesteckt war, und sie trug so eine Katzenaugenbrille aus Plastik, die man schon mal bei alten Frauen sah.
»Ihr müsst Liz und Bean sein«, rief sie, wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und verpasste uns beiden eine rippenquetschende Wyatt-Umarmung. »Ich bin Ruth, und ich hab mich schon die ganze Zeit drauf gefreut, euch kennenzulernen!«
Ruth zog uns ins Haus und erklärte, dass jetzt Erntezeit wär und sie und ihre Mom beim Einmachen waren. Auf dem Küchentisch lagen Berge von roten, grünen, orangen und gelben Tomaten. Earl stellte Einmachgläser auf der Arbeitsplatte in einer Reihe auf, während Tante Al in einem großen, dampfenden Topf rührte.
»Hat Onkel Clarence die ganzen Tomaten geerntet?«, fragte ich.
»Alles, was in Dads Garten wächst, essen wir frisch«, sagte Ruth.
»Damit kommen wir nicht weit, bei so vielen Mündern, die zu stopfen sind«, sagte Tante Al. »Die Tomaten zum Einmachen bringt Joe mir.« Sie begann, gekochte Tomaten in die Gläser zu löffeln. »Ich weiß, manche Leute schütteln den Kopf darüber, was mein Junge macht«, sagte sie, »aber das Essen, das er nach Hause bringt, hilft, diese Familie zu ernähren, und die verflixten Farmer bauen sowieso mehr an, als sie verkaufen können.«
»Ma hat mir erzählt, ihr geht beide ab Herbst auf die Byler High«, sagte Ruth. »Viele weiße Leute, einschließlich Daddy, regen sich mächtig darüber auf, dass demnächst auch Schwarze auf der Schule sind.«
»Ich kapier das nicht«, sagte ich. »Was ist denn so schlimm daran? In Kalifornien waren auch immer mexikanische Kinder auf unserer Schule, und die waren genau wie alle anderen, nur dass sie dunklere Haut hatten und schärfere Sachen aßen.«
»Hier bei uns ist das ein bisschen komplizierter«, sagte Tante Al.
»Ein paar Leute in Byler meinen, das mit der Integration könnte vielleicht sogar ganz gut sein«, warf Ruth ein. Die Bulldogs, das Footballteam von der Byler High, würden die großen, starken, schnellen schwarzen Jungs von der Nelson High kriegen,
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