Die Anderen - Das Erbe erwacht (German Edition)
ihn ein. Finn spürte ebenfalls genau, dass sie mehr sagen wollte, schwieg allerdings, weil er Angst hatte, sie könnte mehr über ihn herausfinden als ihm lieb war. Es gab vieles, das er sogar vor sich selbst verbarg. Geheimnisse, die niemand je sehen sollte.
„Das Band ist zu stark“, erklärte Angelika ganz unvermittelt, wandte sich abrupt um und musterte Finn mit einem merkwürdig abwesenden Blick.
„Was?“, brachte dieser erstaunt hervor und erwiderte ihren starren Blick verwirrt.
„Nicht zerrissen“, ergänzte Angelika, klang eigentümlich monoton. Ihre Stimme war flach geworden, ihre Augen auf einen Punkt hinter ihm gerichtet, wirkten plötzlich einheitlich grün, ein sehr helles Grün, nicht mehr zweifarbig.
„Äh, was meinst du damit“, fragte Finn vorsichtig nach, nicht ganz sicher, worauf sie hinaus wollte und konnte nicht umhin, sich einmal umzusehen, wohin ihr Blick ging. „Zu fest. Band zu stark. Stimme in der Dunkelheit. Er folgte dem Ruf. Das Tor wurde wieder geöffnet“, murmelte Angelika. Finn starrte sie staunend an, nicht sicher, ob sie wirklich mit ihrem „Zweiten Gesicht“, wie Roger es genannt hatte, sprach oder ihn nur veralbern wollte.„Wiedergefunden. Vereint nach so langer Zeit. So stark, so mächtig und gefährlich. Es ist Zeit. Endlich ist die Zeit gekommen“, intonierte sie und nickte mehrfach heftig.
Wenn sie gleich sagt: „Es kann nur einen geben!“, bist du eindeutig im falschen Film, bemerkte Finns Verstand trocken an. Finn hingegen sah Angelika zweifelnd misstrauisch an, die weiterhin durch ihn hindurchsah. Wenn sie jetzt ein Schwert zog und blaues Licht erschien, war er definitiv in einem Film gelandet.
Angelika seufzte, blinzelte und strahlte ihn mit einem Mal wieder an. Das helle Grün ihrer Augen war verschwunden. „So, der Tee dürfte gleich fertig sein. Sollen wir dir vielleicht ein wenig passendere Kleidung verschaffen?“, erkundigte sie sich mit ihrer normalen, lebhaften Art.
„Kleidung?“ Finn war noch viel zu sehr mit ihren eigenartigen Worten und ihrem gruseligen Auftritt beschäftigt. Er begriff jedoch, dass sie selbst offenbar nicht mitbekam, wenn sie mit ihrem zweiten Gesicht sprach. Der abrupte Wechsel bereitete ihm arge Probleme, zumal er keine Ahnung hatte, wovon sie da gerade geredet hatte. Welches Tor? Welches Band?
Okay, sie hat immerhin kein Schwert gezogen, seufzte die innere Stimme spöttisch auf, verriet damit, dass sie durchaus mit dieser Option gerechnet hatte. Anscheinend bestand also in dieser Hinsicht keine weitere Gefahr. Langsam ließ Finn die Luft aus den Lungen und bemerkte da erst verschämt, dass er den Atem angehalten hatte.
„Na, du kannst hier doch nicht auf diese Weise“, Angelika deutete auf seine Jeans, „herumlaufen. Das passte einfach nicht. Du kriegst was von Michael, das dürfte passen.“ Sie verschwand kurz in einer Ecke und kam gleich darauf mit einer Hose und einem Hemd zurück, welche denen von Roger ähnelten. „Hier, zieh an“, meinte sie auffordernd und Finn kam gar nicht erst der Gedanke, sich zu weigern. „Ich warte dann draußen, okay? Der Tee ist auch gleich fertig. Ich nehme ihn schon mal mit.“
Äh , machte Finns Verstand und hob protestierend einen Finger, doch da war Angelika bereits aus dem Zelt verschwunden. Hättest du ihr nicht sagen können, dass wir uns im Jahr 2010 befinden, wo Jeans und ein normales Hemd durchaus adäquate Kleidung sind? Warum sollst du anziehen, was ein Vorfahre Karl Lagerfelds vor Jahrhunderten entworfen hat?
Unschlüssig drehte Finn die Kleidung in den Händen, hielt sich davon ab, daran zu riechen, denn die Sachen waren vermutlich nur vom Schnitt her mittelalterlich. Ergeben seufzte er und zog sich sein eigenes Hemd und die Hose aus. Warum eigentlich nicht? Was sprach dagegen, sich für ein paar Stunden in jemand anderen zu verwandeln? Seine bisherige Rolle in dieser Geschichte gefiel ihm nicht so recht. Es konnte also nur besser werden, oder? Der liebeskranke Finn im Mittelalter. Es gab schlechtere Rollen.
Nun gut ..., nicht wirklich viele, wenn man mal von Quasimodo absieht, bemerkte sein Verstand grinsend und ging in Deckung.
Finn betrachtete die schwarze Hose neugierig. Sie war recht eng geschnitten und aus weichem, angenehmen Leinen gearbeitet.
Sieht gar nicht so schlecht aus, dachte er und zog sie über. Sie passte sogar recht gut, war ihm höchstens ein wenig zu kurz. Er wusste nichts mit dem breiten Gürtel anzufangen und betrachtete daher
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