Die Angst der Boesen
Eintrittskarte vom Museum, das sie heute besucht hatten, wischte sie Paul vorsichtig übers Gesicht. »Red schon«, drängte sie.
»Ist scheiße gelaufen, heute Abend«, antwortete er erschöpft. »Ich hätt’s wissen müssen. Sven ist ein Monster.«
»Wo hat er dich erwischt?«
Paul winkte ab. »Vergiss es.«
Lilly runzelte die Stirn. Nachdem sie sein Gesicht einigermaßen gesäubert hatte, wirkte er nicht mehr wie jemand, der verprügelt worden war.
Paul schien ihre Verwunderung zu bemerken. »Krokodilly«, sagte er und grinste schief, »mach dir keine Gedanken um mich.«
Lilly setzte zum Protest an, obwohl sie den Kosenamen gerne hörte. Gepanzert und mit Zähnen bewaffnet wäre sie nämlich gern.
»Oh, verdammt«, rief er plötzlich, »du hast auch was von dem Blut abgekriegt. Das müssen wir sofort abwischen.«
»Wieso, ist doch deins«, sagte Lilly und stemmte sich gegen Paul, der sie hochziehen wollte.
»Eben nicht«, antwortete er. »Ist eben nicht meins. Frag jetzt nicht. Ich will damit nichts zu tun haben und nicht darüber reden, klar?«
»Aber ...«
»Schnell! Ich weiß nur eins: Das Blut hier überall, das ist von einem, der vielleicht Aids hat.«
7
Ilkay sah Paul Brinker an diesem Tag schon zum zweiten Mal aus den Mädchentoiletten kommen. Der hatte da nichts zu suchen! Er wollte sich Paul gerade schnappen, als auch Lilly aus den Waschräumen kam.
Was fanden eigentlich alle an Lilly? Levent fand sie scharf und auch Sven stand immer noch total auf seine Ex. Dabei war Lilly alles andere als attraktiv: zu dünn, zu kantig, zu tiefe Ringe unter den zu schwarz geschminkten Augen, zu oft blondierte Haare, abschreckendes Tattoo im Nacken: einen Skorpion, der auf den ersten Blick so echt aussah, als krabble er ihr über die Haut. Jetzt lief sie heulend hinter Paul her und quengelte: »Wie kriegen wir denn raus, ob das ansteckend ist? Wo kommt das überhaupt her? Red mit mir, verdammt noch mal.«
Für Ilkay war der Fall sofort klar: Paul würde auspacken. Wenn er Lilly richtig eingeweiht hatte, hätten sie womöglich gleich noch die Hoffmann und später vielleicht die Bullen am Hals. Das musste er verhindern.
Sven hatte schon ein paarmal wegen Körperverletzung Sozialstunden machen müssen, Leon schlug sich mit einer Anzeige wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis herum und Ilkaywar nicht darauf aus, selbst auch Bekanntschaft mit der Polizei zu machen.
Er hatte genug Stress zu Hause. Sein Vater war streng und fand neuerdings, Ilkay sollte versuchen, Abitur zu machen. Paul hatte seine Zulassung zur Oberstufe schon vor einem halben Jahr gehabt. Ilkays Eltern wollten auch einen gebildeten Sohn, der Geld verdient und Karriere macht. Ilkay verstand das, er war nicht dumm. Er hätte Paul nicht nur in Technik, Mathe und Informatik überflügeln können, aber er wollte auf keinen Fall ein falsches Image bekommen. Wie sähe das denn aus, wenn er sich im Englischunterricht dauernd meldete und dämliche Antwortsätze wie »Yes, Mrs Hoffmann, George likes dogs very much« von sich gab? Das war schon auf Deutsch völlig bescheuert. Ihm reichte es, wenn er die Antwort für sich wusste, was in Frau Hoffmanns Kindergartenunterricht wirklich nicht schwierig war.
Also behauptete er, er hätte keinen Bock aufs Lernen. Das stimmte zum Teil ja. Für die Schule arbeiten, statt nachmittags Fußball zu spielen, war nicht sein Ding. Überhaupt kam das Erwachsenenleben schneller und komplizierter daher, als er gedacht hatte. Manchmal wünschte er sich, die Schule würde noch ein Jahr länger laufen, zweimal zehnte Klasse, dafür würde er auch jeden Vormittag dort abhängen, wäre doch gar nicht so schlecht. Levent war ein echter Freund, Ebru saß ihm direkt gegenüber und Frau Hoffmann stresste nicht, ließ sich verarschen und war trotzdem im nächsten Moment wieder freundlich. Würde sie das auch noch sein, wenn sie erfuhr, was mit dem Obdachlosen passiert war?
Viel wichtiger aber war, was sein Vater davon halten würde. Ein Sohn, der über einen hilflosen Bettler herfiel – das war nicht nach seinem Geschmack, das würde niemanden aus der Familie begeistern.
Ilkay gab sich einen Ruck, rannte Paul und Lilly hinterherund stoppte sie vor den Flurtüren. Mit einem Griff hatte er Paul am T-Shirt gepackt und gegen das Glas gedrückt. »Wir haben was besprochen, Streberarsch. Du hast es vielleicht nicht mitgekriegt, aber was gerade abgegangen ist, war ’ne Sache zwischen uns fünf. Du hältst die Klappe, klar?«
»Ilkay«,
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