Die Angst der Boesen
hatte ihn erst vorgestern gegenüber Martin noch als »schwierigen Schüler mit hohem Aggressionspotenzial« beschrieben.
Bitterkeit stieg in ihr auf, als sie an ihre neue Eroberung dachte. Mittlerweile war sie sich fast sicher, dass Martin nicht mehr anrufen würde.
Während die Jugendlichen wild durcheinanderredeten und sich mit Beispielen überboten, an denen sie gemerkt haben wollten, dass Paul schwul war, wanderten ihre Gedanken zurück zum Donnerstagmorgen.
Da war sie Martin begegnet, und zwar genau so, wie man sich begegnen muss, wenn es mit der Liebe klappensoll: beim Bäcker. Er hatte sie beim Brötchenkaufen in der Schlange vorlassen wollen, aber als sie sagte, sie habe noch Zeit, die Mittagspause ginge bis Viertel nach eins, hatte er sie auf einen Kaffee eingeladen. Sicher, das Stehcafé war voller kichernder Schüler gewesen und der doppelte Espresso hatte ihr die nächsten Stunden über extremes Herzklopfen beschert – wenn es denn der Espresso war. Denn Martin wollte sie wiedersehen. Er hatte sie nach ihrer Handynummer gefragt und versprochen, sie anzurufen. Vielleicht hätte sie schon Zweifel haben sollen, als er ihr sagte, seine Nummer könne er ihr leider nicht geben, sein Handy sei gestohlen worden. Aber sie wollte nicht misstrauisch sein. Martin war so interessiert an ihr und durchaus attraktiv. Er war Anfang vierzig, muskulös, sportlich und endlich mal ein Kerl, der den Eindruck machte, dass er sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen lassen würde. Ein Typ wie Marc Gralla, aber – Riesenvorteil! – im Gegensatz zu Gralla single.
Als Martin erzählte, dass er den Sommer über eine Trekkingtour durch Kanada machen wollte, hatte Silke sofort davon geträumt mitzufahren. Dann könnte sie endlich mal aller Welt sagen: Ich mache mit meinem Freund Urlaub.
»Was treibt dich hierher?«, hatte sie ihn schließlich gefragt und hätte beinahe hinzugefügt: an diesen trostlosen Ort.
»Ein Sportprojekt mit der Schule da. Soll im nächsten Jahr stattfinden. Wenn denn die Finanzierung steht.« Er hatte auf ihre tägliche Arbeitsstätte, das riesige, anonyme Schulzentrum mit seinen maroden Betonbauten, gezeigt und plötzlich angespannt gewirkt. »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das was für mich ist. Wie sind denn die Schüler so?«
Jetzt seufzte Silke laut und betrachtete ihre Schüler, die lautstark darüber diskutierten, ob schwule Jungs sich mitden anderen für den Sportunterricht umziehen dürften oder nicht. Zumindest vom Duschen nach dem Schwimmen sollten sie ausgeschlossen sein, meinten die meisten.
Sport, dachte Silke, ist nach wie vor das Fach, das sich am leichtesten unterrichten lässt, beim Sport lebten viele ihrer Schüler auf. Von dem Sportprojekt, über das Martin gesprochen hatte, hatte Silke allerdings nichts gewusst. Trotzdem hatte sie losgesprudelt, dass es immer schwierig sei, die Kinder zu motivieren, aber wenn man sich Mühe gab ...
Martin hatte sie einfach unterbrochen. »Ich motiviere die schon, ich mache noch dem faulsten Fettsack Beine.«
Sie hatten gelacht, er aus vollem Hals, sie etwas zurückhaltend. Sosehr sie raue Kerle anhimmelte, in der Pädagogik bevorzugte sie andere Strategien.
Dann hatte er ihr tausend Fragen gestellt: Ob sie schon mal auf einer Klassenfahrt gewesen wäre? Ach, gerade vor drei Wochen? Sehr gut, denn er plane, zum Abschluss des Projektes ein ganzes Wochenende mit den Schülern zu verbringen. »Was stellen denn deine schlimmsten Schüler auf einer Klassenfahrt so an? Worauf muss ich mich einrichten?«
Silke hatte sofort an den Anruf des Herbergswirts gedacht. Herr Franke hatte der Schule nicht nur einen demolierten Getränkeautomaten und zwei beschädigte Zimmertüren in Rechnung gestellt, sondern auch erwähnt, dass sich ein Mann bei ihm über die Jugendlichen beschwert habe. So sauer sei der gewesen, dass er ihn sogar nach dem Namen der Schule gefragt habe. Angeblich hatten ihre Schüler den Mann bedroht und sein Handy gestohlen. Ihre Beute hatten sie anschließend weggeworfen, denn Herr Franke hatte dieses Handy in einem Gebüsch auf seinem Grundstück gefunden. Da der Fremde die Nummer wusste, hatte Franke ihn als rechtmäßigen Besitzer identifiziert und es ihmzurückgegeben. Er würde aber nicht damit rechnen, dass die Sache damit erledigt sei und nichts mehr nachkäme, der Bestohlene sei äußerst wütend gewesen, hatte ihr Herr Franke noch gesagt.
All das hatte Silke Martin erzählt, woraufhin er die Namen von ihren
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