Die Angst der Boesen
schlimmsten Schülern erfahren wollte. Ihre schlimmsten Schüler ... Da standen sie jetzt zusammen auf dem Schulhof, alle bis auf Sven. Sein Tod hatte sie ordentlich durcheinandergebracht. Ihre Trauer und ihre Verwirrung versuchten sie durch starke Sprüche zu überdecken.
»Frau Hoffmann«, forderte Lilly sie auf, »sagen Sie endlich mal was dazu. Natürlich war das daneben von Paul, so was zu sagen. Dafür sollte er sich auch entschuldigen. Aber die haben Paul auch immer fertiggemacht. Sven und Levent haben Paul jeden Tag schikaniert, da darf er wohl ein Mal auch den Mund aufmachen. Paul hat auch Respekt verdient, oder nicht?«
»Aber er hat deinen toten Lover beleidigt«, rief Levent.
»Vergesst doch mal Paul für einen Moment«, sagte Silke ernst. »Hier geht es um Sven. An ihn wollt ihr doch jetzt denken.«
Levent brummte, Lilly nickte heftig und Silkes Gedanken schweiften doch wieder ab zu dem Mann, den sie vergessen wollte.
Als sie gehen musste, hatte Martin sie bis in die Pausenhalle begleitet.
»Ich muss jetzt wirklich«, hatte sie gesagt.
»Bist du noch nie zu spät gekommen? Ich bin als Schüler ständig spät dran gewesen.« Er hatte sie angegrinst und dann die Fotos von der Klassenfahrt entdeckt. »Bist du auch drauf? Was ist das denn für ein Junge und was macht der da?«
»Ach, das ist Levent, der ist nur ein Spaßvogel.«
»Aber auch einer von den Bösen.«
Silke war über die merkwürdige Formulierung gestolpert. »Kinder sind nicht böse.«
»Manche schon. Und die muss man bestrafen.«
Bestrafen? Hatte Martin das ernst gemeint?
Sein Anbändeln mit ihr hatte er offenbar nicht ernst gemeint, denn sonst hätte er sich ja wohl gemeldet.
Schluss jetzt! Sie musste endlich aufhören, an Martin zu denken.
Ihr Schulleiter kam, in Begleitung von zwei Fremden, einem Mann und einer Frau, wahrscheinlich waren sie von der Kriminalpolizei.
Ihr Chef würgte die gerade wieder aufgeflammte Diskussion über Paul rigoros ab. »Diese Schule soll ein Ort sein, an dem ihr in Ruhe an euren verstorbenen Mitschüler denken könnt. Ohne Streit, wie es sich gehört. Klar? Lilly, wenn du was sagen willst, hat das sicher bis Montag Zeit.« Dann wandte er sich mit gesenkter Stimme an die aufmerksam zuhörenden Polizisten. »Die Schüler sind aufgeregt, das kann man ja verstehen. Ich glaube nicht, dass Sie die Zusammenhänge, die Sie suchen, ausgerechnet in meiner Schule finden werden.«
»Das wird sich zeigen«, erwiderte die Kripobeamtin. »Sollten Ermittlungen nötig sein ...«
»Werden wir natürlich kooperieren.«
Beunruhigt musste Silke feststellen, dass ihr Chef sehr besorgt war. »Vielleicht stellt sich das alles ja noch als Irrtum heraus.«
Die Polizistin gab keine Antwort, ihr Kollege zuckte mit den Schultern. Während er den Schülern erklärte, dass in Kürze auch eine Psychologin eintreffen würde, damit sie mit dem Erlebten nicht allein seien, ging die Beamtin zu den Langes, bekundete noch einmal ihr Beileid und bat, sie allein sprechen zu dürfen.
»Was ist denn?«, fragte Frau Lange etwas schrill. »Was gibt’s denn noch? Wir müssen gleich zum Bestatter. Mein anderer Sohn will uns hier abholen, der ist auf dem Weg. Ihm ist doch nichts passiert? Es ist doch nichts mit Patrick?«
»Nein, nein« − die Polizistin nahm sie am Arm − »mit Patrick ist alles in Ordnung. Wegen Sven sind neue Fragen aufgetaucht.«
29
Paul wohnte nur wenige Gehminuten von der Schule entfernt. Als er nach Hause kam, wollte seine Mutter mit ihm über Sven sprechen, aber danach war ihm überhaupt nicht. Er war froh, dass sein Handy eine SMS meldete.
»Das Teil ist auch dein bester Freund«, maulte seine Mutter.
»Solange ich keinen richtigen Freund hab, muss es halt ausreichen«, antwortete er schnippisch und fügte spontan hinzu: »Ich hab es heute gesagt. Ich hab’s allen gesagt.«
Seine Mutter zuckte zusammen, verharrte kurz in der Bewegung, drehte sich dann zu ihm um, schüttelte den Kopf und ging in die Küche. Sie hat es nicht verstanden, dachte er. Er zögerte, ob er ihr nachlaufen und es ihr auch ins Gesicht sagen sollte oder ob es besser war, erst mal nachzusehen, wer da eine SMS schrieb. Ja, das war definitiv besser. Mit ihm gingen ja heute die Pferde durch. Also überflog er die wenigen, hastig dahingetippten Worte: Hier ist Hölle los. Pass bloß auf. Komm nicht zurück. Wir können dich nicht beschützen.
Paul hatte nicht erwartet, dass er problemlos wieder aus dieser heiklen Lage herauskäme, aber
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