Die Angst der Woche
billiges Trennmittel benutzt, um Kartoffelknollen, bevor sie zu Pommes frites verarbeitet werden, nach GröÃe zu sortieren. »Das wäre an sich nicht schlimm, wüsste man nicht längst, dass Tonerde mit Dioxin verseucht und folglich der Produktionsabfall â vulgo: die Kartoffelschale â giftig sein kann.« Am 29. Januar 2005 kommt dann ein Artikel mit dem Titel »Henkersmahlzeit: Das Problem bei den Eiern frei laufender Hühner sind die Dioxinrückstände im Boden, die die Hühner beim Scharren und Picken aufnehmen.«
Aber siehe da, einige Zeilen tiefer: »Schauergeschichten über Essen und Trinken ziehen immer, denn davon ist wirklich jeder betroffen. Und damit lässt sich prima Angst schüren.«
Der 7. Juli 2006 sieht einen Bericht über den Prozess gegen Seveso-Manager, und am 10. Dezember 2008 sind zur Abwechslung mal die Iren dran: »Hessische Lebensmittelhändler haben vorsorglich rund 40 Tonnen Schweinefleisch aus Irland vom Markt genommen. Bislang ist unklar, ob es dioxinverseucht ist.« Der Zufallsartikel aus dem Jahr 2009, vom 12. August, blickt wieder auf den Vietnamkrieg â »Noch heute sind dort ganze Landstriche mit Dioxin verseucht« â, und meine letzte Zufallsmeldung zu Dioxin, vom 5. Mai 2010, kehrt wieder in die Landwirtschaft zurück: »Nach Dioxinfunden in Futtermitteln sind auch in Hessen zwei Bio-Hühnerfarmen gesperrt worden.«
Mit einer Ausnahme kam Dioxin also als Angstmacher daher. Und zum Angstmacher Asbest habe ich keine einzige beruhigende Meldung in meiner Stichprobe gefunden. Wir können also davon ausgehen, dass die oben abgedruckten Zahlen die Mengen wie auch die Proportionen von Angstmachernachrichten annähernd richtig wiedergeben. Und da sind bestimmte deutsche Blätter eben weitaus eifriger als die internationale Konkurrenz.
In gewisser Weise sind diese Zahlen sogar noch untertrieben. Sie geben nämlich nur die reine Anzahl, nicht die Platzierung und den redaktionellen Umfang der Angstberichte an. Die sind nämlich in der Süddeutschen Zeitung und in der Frankfurter Rundschau nicht nur häufiger, sondern auch öfter auf der Titelseite. Ich schreibe diese Zeilen während eines Kurzurlaubs in Frankreich â Le Monde und Le Figaro machen heute mit den Aufständen in Libyen und Syrien auf, die SZ und die FR mit dem Atomdesaster in Japan. Und das ist kein Zufall. Bringen Sie doch mal aus dem nächsten Auslandsurlaub einige Zeitungen mit und vergleichen Sie, was bei diesen und was bei Ihrer eigenen lokalen Tagezeitung an den jeweils gleichen Tagen auf der ersten Seite steht. Ich gehe jede Wette ein, der Panikanteil ist in der deutschen Zeitung höher.
Jetzt könnte man als Nächstes einwenden: Eine Zeitung mit einem gröÃeren redaktionellen Umfang hat auch das Recht, mehr über Pannen und Panik zu berichten. Ich habe also auch die Anzahl und den Umfang der Angstartikel zum gesamten redaktionellen Umfang der verschiedenen Zeitungen in Beziehung gesetzt â auch hier sind die deutschen Zeitungen weiter Spitze, ja der Vorsprung nimmt sogar noch zu. Gesamtsieger ist jetzt aber die Frankfurter Rundschau knapp vor der SZ .
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Nimmt man dann auch noch das Fernsehen hinzu, muss man sich über nichts mehr wundern. Während ich diese Zeilen schreibe, schlägt das aktuelle Trauerspiel zu Japan alle Rekorde der Schamlosigkeit. Da sind in einem befreundeten Land Zehntausende Menschen durch Erdbeben und Flutwellen umgekommen, ganze Landstriche liegen in Trümmern, Kinder suchen ihre Eltern, Männer ihre Frauen, doch anstatt innezuhalten, die Toten zu betrauern und dem japanischen Volk in den schwersten Stunden seit dem Zweiten Weltkrieg beizustehen, diskutierten vermeintliche Experten in der ARD, ob wir Deutsche noch bedenkenlos Fischstäbchen essen können.
Ich muss gestehen, da habe ich mich für die deutschen Medien geschämt. »Nirgends sonst wird so rücksichtslos und falsch über das Atomunglück in Japan geredet wie hier«, entrüstet sich auch Reinhard Zöllner, Ordinarius für Japanologie an der Universität Bonn, auf dem Höhepunkt der Krise in einem mehr als lesenwerten Aufsatz in der Berliner Welt . »Wir haben die Freundschaft der Japaner in ihrer gröÃten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg bitter enttäuscht. Es stimmt: In vielen Ländern reagierten die Medien und die Menschen
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