Die Angst der Woche
verzeichnet eine steigende Zahl von Anfragen: âºMeistens ging es um die Vorkehrungen beim gemeinsamen Abendmahl.â¹ In den meisten Gemeinden einigte man sich schon recht bald auf das Abendmahl âºIntinctioâ¹: Dabei wird nicht mehr wie üblich aus einem gemeinsamen Kelch getrunken, sondern die Abendmahlsoblate wird nur in den Kelch eingetaucht. Die âºIntinctioâ¹ ist unbedenklicher als das traditionelle Abendmahl, bestätigt eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums. âºUnd theologisch gesehen ist auch das Abendmahl Intinctio ein vollwertiges Abendmahlâ¹, versichert Pfarrer Ernst Schmidt aus der Gemeinde Mettmann.«
Ich jedenfalls kann mir eine solche Meldung in einer französischen Zeitung nicht vorstellen. Allenfalls am 1. April.
Was ist nur mit den Deutschen los? Dieser Haufen aufgeregter Hühner provoziert jenseits der Landesgrenzen â ja, was ist das Gegenteil von Respekt? Meine Schwiegertochter ist Japanerin, ich habe auf dem Höhepunkt der letzten Atomkrise mit ihrem Vater in Tokio telefoniert â keinerlei Anzeichen von Panik, dafür hat man schlieÃlich ja geübt. Und völliges Unverständnis angesichts des Gegackers beim ehemaligen Weltkriegsverbündeten. Solche Desaster kommen eben immer wieder vor; das groÃe Erdbeben 1923 kostete allein in Tokio über 100 000 Menschenleben. Dann wird aufgeräumt, und das Leben beginnt von Neuem.
Und in Deutschland werden Mahnwachen geübt. Japaner haben dafür nur Verachtung übrig. Ich jedenfalls werde bei meinem nächsten Besuch in Tokio vermeiden, als Deutscher erkannt zu werden.
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Die Erfolgsautorin Sabine Bode sieht diese gesteigerte Tendenz zur Angst als eine Spätfolge des Zweiten Weltkriegs. »Die Jahrgänge von 1928 bis 1945 spielen, so wie ich es sehe, eine Schlüsselrolle bei einer kollektiven Auffälligkeit, der das Ausland den Namen âºGerman Angstâ¹ gab. Es spricht viel für die Annahme, dass ihre unbewussten Ãngste an Nachgeborene weitergegeben wurden.« So schreibt sie in ihrem Buch Die deutsche Krankheit â German Angst . »Aber ein Gefühl, über das kaum je gesprochen wurde und das die meisten Deutschen im Kampf ums Ãberleben vielleicht auch gar nicht wahrnehmen konnten, dürfte in der Bevölkerung weitverbreitet gewesen sein â Angst. Angst vor Hunger und Elend: Werden meine Kinder genug zu essen haben? Wie kommen wir an ein festes Dach über dem Kopf, an Kohlen, an Medikamente? Angst vor der Ungewissheit des Todes von Angehörigen und Freunden: Wird Vater heimkommen? Wird er die Kriegsgefangenschaft überleben? Millionen Menschen wurden noch vermisst. Unzählige starben noch in Gefangenenlagern. Angst vor einer Rückkehr der Terrorherrschaft: Ist das Dritte Reich tatsächlich am Ende? Die Davongekommenen waren zutiefst misstrauisch â und sie sollten es noch lange bleiben. Angst vor VergeltungsmaÃnahmen: Würden sich die Opfer rächen? Die Täter und die NutznieÃer der Gewaltherrschaft schliefen schlecht. Und tief unter allem lag die Angst vor dem Nichts, weil nichts, aber auch gar nichts mehr sicher war.«
Andere Beobachter gehen noch weiter zurück, zum DreiÃigjährigen Krieg, der bisher gröÃten Katastrophe auf deutschen Boden; jeder dritte Bewohner des Landes zwischen Rhein und Oder ist damals durch Gewalt gestorben. Der Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung geht deshalb davon aus, dass Völker durch besondere historische Erfahrungen ein kollektives Unterbewusstsein und damit auch eine besondere Mentalität entwickeln. In Deutschland wäre dieses kollektive Unterbewusstsein dann von einer ständigen Angst geprägt. Und die Medien wären nur passive Mitläufer, die nichts anderes tun, als dem Geschmack des Publikums zu folgen? Die Deutschen erwarten Angst, also bekommen sie auch Angst? Und zeugen Kinder, die im Alter von zehn Jahren bei einem Gedichtwettbewerb Texte wie die folgenden verfassen.
So schreibt Max Hilligsberg aus der Klasse 4b der Johannesschule in Arnsberg:
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Was ist eigentlich los? Flaschen auf der StraÃe.
Alles ist voll Müll und Dreck.
Ãl ist ausgelaufen. Menschen werden krank.
Alles ist voll Müll und Dreck.
Menschen tragen einen Mundschutz.
Alles ist voll Müll und Dreck.
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Auch Elana Carrieri aus der Klasse 4b St. Michael weià aus ihrem reichen
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