Die Angst der Woche
Tabelle zeigt, wie oft in den elf Jahren zwischen Januar 2000 und Dezember 2010 im redaktionellen Teil ausgewählter deutscher und internationaler Tageszeitungen gewisse Angstvokabeln wie »BSE« oder »dioxinbelastet« vorkommen. Dabei habe ich bei »dioxinbelastet« auch nach »Dioxin«, »Dioxinbelastung«, »Dioxinvergiftung« »dioxinverseucht« usw. gesucht. Dito bei Asbest: »Asbestbelastung«, »asbestbelastet« usw. Und analog auf Französisch, Spanisch, Englisch oder Italienisch: »asbestos-related«, »asbestos hazard«, »risk/danger/contamination of asbestos«. Nur die Suchwörter »BSE« und »Schweinegrippe« gingen ohne weitere Zusätze in die Recherche ein.
Die meisten der durchsuchten Zeitungen sind allgemein bekannt und bedürfen keiner Vorstellung. Die Gazeta Wyborcza, auf Deutsch »Wahlzeitung«, ist die gröÃte überregionale polnische Tageszeitung mit einer Auflage von 500 000 und vier Millionen Lesern; sie erscheint in Warschau und wurde 1989 als Organ der Solidarnosc-Bewegung gegründet. Und die GZT ist eine russische Internetzeitung mit Redaktionssitz in Moskau; sie erscheint erst seit 2001.
Hier das Ergebnis:
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Häufigkeit ausgewählter Angstvokabeln in deutschen und internationalen Tageszeitungen 2000 â 2010
asbestverseucht
BSE
dioxin-belastet
Schweinegrippe
Summe
Süddeutsche
Zeitung
484
2611
303
823
4221
Frankfurter
Rundschau
584
2320
230
730
3864
Corriere
de la Sera
710
2174
380
558
3822
FAZ
317
1985
115
439
2856
Guardian
461
1356
121
336
2274
Times
569
521
89
830
2009
Le Monde
949
527
290
231
1997
El Pais
354
369
302
342
1367
Gazeta
Wyborcza
103
751
264
179
1297
La Repubblica
262
522
118
275
1177
GZT
52
110
116
746
1024
Le Figaro
210
322
86
396
1014
Â
Das Ergebnis ist schon verblüffend, und das in vielfacher Hinsicht. So ist etwa in Frankreich und Russland das Interesse an Asbest und Schweinegrippe sozusagen komplementär: In dem einen Land interessiert vor allem das eine, in dem anderen das andere. Und in dem Land â GroÃbritannien â, das am schwersten von der BSE-Krise geschüttelt wurde, kümmern sich die Medien weniger darum als in dem Land, wo bislang kein einziger Mensch daran gestorben ist.
Am verblüffendsten, wenn auch für mich nicht unerwartet, ist aber die Panikanfälligkeit speziell der deutschen Tageszeitungen: Die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau publizieren drei- bis viermal mehr Angstmeldungen als El Pais in Spanien, Le Figaro in Frankreich oder La Repubblica in Italien.
Jetzt könnte man natürlich einwenden: Das ist ja unfair, dann wird doch eine Meldung wie »Halleluja! Ein Jahr lang kein Dioxin in deutschen Lebensmitteln!« als Panikmeldung mitgezählt. Ich habe deshalb für die beiden Spitzenreiter, die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau, jedes Jahr zufällig eine Angstmeldung zu den Themen Asbest und Dioxin ausgewählt und von Anfang bis Ende durchgelesen, ob es wirklich um Panikmache geht. Die erste zufällig ausgewählte Meldung zu Dioxin aus der Frankfurter Rundschau ist vom 25. Mai 2000 und hat die Titelzeile »Wieder verseuchtes Futter in Belgien entdeckt«. Man sorgt sich also nicht nur um die deutschen Leser. »Die verseuchten Produkte seien mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht ins Ausland exportiert worden, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel.«
Die nächste Zufallsmeldung ist vom 10. Juli 2001, Titel: »Der Dioxinunfall von Seveso vor 25 Jahren war der Anfang einer Reihe von Skandalen.« Dann werden nochmals alle Vorfälle um Dioxin der letzten 25 Jahre aufgerollt. Dann eine Meldung vom 4. Juni 2002, tatsächlich einmal eine â wenn auch die einzige in meiner ganzen Zufallssammlung â ohne Angstgehalt: »Dioxinbelastung in zehn Jahren mehr als halbiert.« Allerdings war diese Meldung aber auch, als wäre diese Chronistenpflicht der Redaktion eher unangenehm, die vom Umfang her kleinste von allen.
Auf die gewohnte Weise weiter geht es dann am 12. August 2003: »Drei Jahrzehnte nach dem Krieg ist in Regionen Vietnams die Dioxinbelastung fast genauso hoch wie in den Tagen des Einsatzes des Entlaubungsmittels âºAgent Orangeâ¹ durch die US- Armee.« Am 5. November 2004 geht es dann um Dioxin in Kartoffeln und um die Tonerde, die man in Wasserbädern als
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