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Die Angst der Woche

Die Angst der Woche

Titel: Die Angst der Woche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Krämer
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Und überlegte nicht lange, könnte das vielleicht nicht auch ein zahmes Zebra sein? Den Luxus, erst mal Fakten zu sammeln, Beobachtungen anzustellen und Theorien zu testen, konnten die Jäger und Sammler prähistorischer Zeiten sich nicht leisten; wer da erst lange überlegte, »lohnt es sich überhaupt, auf den Baum zu klettern?«, der tat dies nicht allzu oft. Und so sagt unser Bauch bis heute auch bei kleinsten Zeichen von Gefahr: Pass auf, hab Angst. In solchen Gefahrensituationen erst den Verstand zu nutzen, ist in unserer Erbmasse nicht vorgesehen.
    Auch die verbreitete Überschätzung von künstlichen verglichen mit natürlichen Risiken ist ein Ausdruck dieses Bauchgefühls. Künstliche Risiken sind Menschenwerk, und wer sich gegen andere Menschen durchsetzen und seine Sippe am Leben erhalten will, hat vor Feinden auf der Hut zu sein – giftigen Pflanzen, fleischfressenden Tieren, vor allem aber anderen Menschen. Nicht umsonst ließen die Potentaten des alten Orients vorschmecken, was sie aßen. Der Ausbruch des Vesuv oder die Sintflut dagegen waren Schicksal, sie trafen Jung und Alt, Arm und Reich, Männer und Frauen gleichermaßen, sich dagegen vorzusehen oder davor Angst zu haben brachte keinen Überlebensvorteil und wurde nicht durch die Evolution belohnt; also ist auch die Angst davor in unseren Genen nicht vererbt.
    Und dann sorgen natürlich auch die Medien dafür, dass uns künstliche Risiken mehr bedrücken als natürliche. Medien leben von Menschen, von Schicksalen, von Glückspilzen und vor allem auch von Sündenböcken. Sie zeigen gerne mit dem Finger: Der da war es, der ist schuld. Nur so trifft man den Aufmerksamkeitsnerv des Publikums. Bei zufälligen Missgeschicken fällt das schwer. Deswegen suchen die Medien gern nach Verantwortlichen, nach Sündenböcken, und die Natur ist nun mal ein ganz schlechter Sündenbock.
    In den USA hat man mal einen Journalisten gefragt, warum seine Zeitung so ausführlich über gefährliche Müllkippen berichtet habe, aber das weit gefährlichere Radon, ein radioaktives Edelgas in den Kellern vieler Häuser in der gleichen Gegend, weitgehend ignoriere. Seine Antwort: »Weil eine Müllkippe gute Bilder liefert. Und weil irgendjemand dafür verantwortlich ist.«
    Gute Bilder. Und jemand, der verantwortlich ist. So ticken nicht nur Journalisten, so tickt auch unser Bauch. Denn auch dieses Verhalten ist vielleicht durch die Evolution auf uns gekommen: Unsere Vorfahren konnten nur schlecht mit der Ungewissheit leben, wer denn eigentlich für das plötzliche Sterben aller Kühe oder für drei Missernten in Folge verantwortlich war. Eine Gemeinschaft, die darüber lange grübelte und sich in Zweifeln auflöste, war nicht überlebensfähig. War dagegen jemand zur Hand, und sei es nur der sprichwörtliche Sündenbock, der den Göttern ersatzweise als Abbitte geliefert werden konnte, konnte mit Elan die nächste Stufe der Menschheitsentwicklung in Angriff genommen werden. So gesehen sind auch die unsäglichen Hexenprozesse des Mittelalters möglicherweise nur ein Ausfluss unseres genetischen Programms.
    Darüber will ich hier nicht weiter spekulieren; fest steht, dass – aus welchen Gründen auch immer – jedes von Menschen verursachte Ungemach bei denen, die darüber zu berichten haben, mehr Sendeenergie freisetzt als natürliche Katastrophen. Und so setzt sich dann bei den Empfängern dieser Botschaften fast zwangsläufig der Eindruck fest, dass menschengemachte Gefahren die natürlichen bei Weitem übersteigen.
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    Ein nächster, wohl ebenfalls genetisch programmierter Faktor, der unsere Einschätzung von Risiken enorm verzerrt, ist in der Frage begründet, ob wir diese gezwungenermaßen oder freiwillig auf uns nehmen. Freiwillige Risiken werden nämlich nicht nur eher akzeptiert, sondern auch in ihrem Ausmaß fast schon grotesk unterschätzt – um einen Faktor bis zu 1000, wie man in Experimenten herausgefunden hat. Sowohl der Schaden selbst als auch die Wahrscheinlichkeit des Schadens erscheinen den meisten Menschen weitaus kleiner, als sie wirklich sind. »Wenn man anderen die Gefahren zumuten könnte, die man für sich selbst als Risiko akzeptiert, würde das Proteststürme auslösen. Wenn noch gälte: ›Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‹, könnte dieser

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