Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Angst der Woche

Die Angst der Woche

Titel: Die Angst der Woche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Krämer
Vom Netzwerk:
sich auf allerhand gefasst machen«, kommentierte der Soziologe Niklas Luhmann diese irrationale Einstellung zu freiwillig akzeptierten Gefahren aller Art.
    Warum zum Beispiel fürchtet sich in Deutschland kaum jemand vor Hepatitis B? »Der Hauptauslöser von Leberkrebs wird nicht ernst genommen«, schreibt die Zeitschrift Verbrauchernews . Die Hepatitis B sei die häufigste Infektionskrankheit der Leber und Hauptursache für den Leberkrebs. Jedes Jahr infizieren sich über 50 000 Menschen in Deutschland, ein Viertel davon Jugendliche und junge Erwachsene, 2000 von ihnen sterben an der Infektion. Aber weil diese Infektion vor allem beim Sport und beim Geschlechtsverkehr, auch beim Piercing und Tätowieren übertragen wird, erntet dieses Risiko kaum mehr als nur ein Achselzucken.
    Weitere Risiken des beliebten Piercings sind Blutergüsse, Allergien, Nervenschäden, Knorpeldefekte, Zungenlähmung, Entzündungen des Milchkanals (beim Brustwarzenpiercing), Sehschwäche (weil sich bei billigen Stücken giftige Metalle absondern, die in die Augen wandern) oder Virusinfektionen wie Hepatitis B, aber auch Aids.
    Auch für eine modische Frisur nehmen viele Menschen gern Risiken in Kauf, die sie, wenn von außen auferlegt, sofort auf die Barrikaden gehen ließen. Nach einer im International Journal of Cancer veröffentlichten Studie soll das in Haarfärbemitteln vorkommende Arylamin, das über die Kopfhaut in den Körper gelangt, das Risiko für Blasenkrebs erhöhen. In anderen Kosmetika sind diese Zutaten deshalb verboten, nur in Haarfärbemitteln nicht, wo sie als unentbehrlich gelten. Frauen, die sich einmal im Monat die Haare färben, hätten nach einem Jahr ein doppelt so hohes Risiko, an Blasenkrebs zu erkranken; nach 15 Jahren Haarefärben stiege das Risiko sogar auf das Dreifache des »normalen« Risikos für Blasenkrebs.
    Wie viele der über 30 Prozent europäischer Frauen über 18, die sich die Haare färben – und der 10 Prozent aller Männer über 40, die nach Umfragen dasselbe tun –, werden deshalb die Finger davon lassen?
    Oder man stelle sich den Proteststurm vor, wenn die periodisch immer wieder modernen Damenschuhe mit hohem Absatz und dicken Plateausohlen von Staats wegen verboten würden. Derart besohlte Autofahrerinnen etwa kommen im wahrsten Sinn des Wortes öfter in die Klemme: Mit solchen Schuhen verhakt man sich leicht zwischen Gas- und Bremspedal. Außerdem führt häufiges Gehen in hochhackigen Schuhen zu Überdruck und Entzündungen im Kniegelenk, als Folge sind Kniegelenkverformungen bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern. Aber da freiwillig übernommen, scheint dieses Risiko die meisten Frauen nicht zu interessieren.
    Nur so ist auch zu erklären, dass die regelmäßigen Horrormeldungen über »Tumor per Telefon« überhaupt nicht zu den üblichen hysterischen Reaktionen führen, die man ansonsten gewöhnt ist, wenn irgendetwas Krebs erzeugen soll. Der Mediziner Andreas Stang von der Uni-Klinik Essen hatte 148 Patienten mit dem sogenannten Uvea-Melanom – einem Augenkrebs – zu ihren Lebensumständen vor der Erkrankung befragt. Das Ergebnis: Menschen, die mehrere Stunden täglich ein Funktelefon benutzen, erkranken dreimal häufiger an diesem Krebs als andere. Wie viele Menschen werden deshalb ihr Handy in der Hosentasche lassen?
    Funktelefone stören die Elektronik von Flugzeugen, von Schiffen, auch von Herzschrittmachern; sie erhöhen den Blutdruck, vervierfachen das Unfallrisiko beim Autofahren, lassen Menschen schlechter schlafen und machen außerdem noch dick: Nach Auskunft von Ernährungswissenschaftlern sparen Funktelefone jährlich rund 16 Kilometer Fußweg und tragen damit eine Mitschuld an der alarmierenden Zunahme von Übergewichtigen in modernen Industrienationen. Wären sie, statt freiwillig benutzte Verständigungshilfen, Bestandteil unserer Arbeitsplätze, würden sie sofort verboten werden.
    Sie werden aber nicht verboten, aus dem gleichen Grund, warum auch Alkohol und Nikotin und Piercing nicht verboten werden: Weil freiwillige Risiken uns wenig schrecken und deshalb auch keinen politischen Druck in Richtung Verbot erzeugen. Deshalb wird auch die freiwillig gebuchte Touristenklasse im Flugzeug nicht verboten, trotz der angeblich Tausenden von Toten wegen Flugthrombosen. Auch

Weitere Kostenlose Bücher