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Die Angst der Woche

Die Angst der Woche

Titel: Die Angst der Woche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Krämer
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etwas anzufangen, und ob eine Milliarde aus 100 oder 1000 Millionen besteht, wissen oft nicht einmal die Bundeskanzler (meinte jedenfalls Helmut Schmidt über Willy Brandt). Wenn wir also hören, die öffentliche Verschuldung betrüge zurzeit in Deutschland 3,5 Billionen Euro, so hätte man genauso gut auch 350 Milliarden sagen können – der Protest, die Entrüstung und das Unverständnis wären in beiden Fällen gleich. Ja, vielleicht sogar bei 350 Milliarden, dem zehnten Teil von 3,5 Billionen, weitaus größer, denn 350 sind doch mehr als 3,5, oder?
    Auch unser völlig irrationales Verhalten bei Hilfsgesuchen aller Art geht auf diese innere Genverdrahtung zurück. Wenn wir lesen »350 000 Kinder im Kongo von Cholera bedroht, Spenden bitte auf Konto XY«, so fließen ebendiese Spenden nur sehr karg. Zeigt man dagegen ein kleines Eskimobaby, darunter die Schlagzeile »Ohne Ihre Spende wird dieses Kind an Typhus sterben«, dann kann man mit den Spenden ganze Krankenhäuser neu errichten. Denn abstrakt etwas Gutes tun oder konkret einem bestimmten Mitglied unserer Spezies beistehen, sind für den Cromagnon in uns ganz verschiedene Dinge. Für unsere Vorfahren war es lebenswichtig, zusammenzuhalten, die Stammesgenossen zu kennen und sich mündlich, von Angesicht zu Angesicht, über angenehme Dinge wie auch über Gefahren und Ängste auszutauschen. Alles, was man über die Welt wissen konnte und musste, erfuhr man abends am Lagerfeuer. Wer da gut aufpasste und mitreden konnte, der überlebte; Geschichten erzählen, Geschichten lauschen, auf Geschichten reagieren, das war genetisch wertvoll. Wer stattdessen abseits im abstrakten Denken brillierte, wurde in der Regel nicht sehr alt. Deswegen sind heute weltweit die Autisten in der Minderheit. Sie können zwar sehr viel schneller rechnen als andere, haben auch ein weit besseres Gedächtnis und sind viel geschickter im abstrakten Denken, aber im Umgang mit ihren Mitmenschen haben sie große Defizite, und deshalb hatten Menschen mit diesen Genen über 6999 Generationen einen schweren Stand.
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    Und dann gibt es noch eine weitere Erklärung dafür, warum wir uns beim Umgang mit Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten oft so dämlich anstellen. Sie hat zwar indirekt auch etwas mit unseren Genen zu tun, ist aber eher eine Kopfsache. Und zwar die Konsequenz einer trotz aller Superleistung immer noch begrenzten Problemlösungskapazität unseres Gehirns. Vor die Aufgabe gestellt, eine neue Wohnung zu suchen, ein Auto zu kaufen, den Urlaub zu planen, die Zutaten für das Abendessen einzukaufen oder gar einen Partner für das Leben zu gewinnen, wägen wir in aller Regel nicht sachlich und emotionslos alle Alternativen ab, auch wenn viele Wissenschaften unterstellen, wir täten das. Das Paradebeispiel ist der bekannte Nutzenmaximierer, der Homo oeconomicus, in der Volkswirtschaftslehre: So verteilt etwa ein Haushalt sein begrenztes Einkommen dergestalt auf die möglichen Konsumgüter, dass sein Nutzen – also das daraus erzeugte Befriedigungsniveau – einen maximalen Wert erreicht. Und es mag auch durchaus Bereiche unseres Lebens geben, wo ein derartiges Verhalten den Realitäten hinreichend nahekommt. Nicht umsonst hat die Volkswirtschaftslehre mit daraus abgeleiteten Verhaltensgesetzen schon große Erfolge erzielt.
    Der bekannte Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Direktor des dortigen Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, glaubt aber, dass ein anderes Verhaltensmodell den Homo sapiens und seine Reaktion auf Gefahr und Unsicherheit besser beschreibt; er nennt diese Herangehensweise »heuristisch«. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet so etwas wie »Erkenntnishilfe« – ein Werkzeug, um im Leben einigermaßen zurechtzukommen, auch wenn es nicht in jedem Einzelfall das optimale Werkzeug ist.
    Ein sehr verbreitetes unter diesen Hilfswerkzeugen ist die sogenannte Erinnerungsheuristik, oder auf gut Deutsch: Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht. Wenn Ratten zwischen zwei Sorten Futter wählen können, einer bisher unbekannten und einer, die sie aus dem Atem ihrer Nachbarratte kennen, die davon schon einmal gegessen hat, dann wählen sie das Futter, das sie über ihre Nachbarratte per Geruch schon kennen. Unter anderem auch deshalb sind Ratten so überlebensfähig. Sie vermeiden

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