Die Angst der Woche
Menschen, hatten Angst nicht ohne Grund.
Evolutionsgeschichtlich gehen die Angst und die daraus geborene Vorsicht sogar noch weiter zurück; die Angst ist im ältesten Teil unseres Gehirns, im Reptiliengehirn, zu Hause, erst sehr viel später sind daraus die anderen Abteilungen unserer Denkfabrik entstanden. Diese Gehirnvorläufer bei den Tieren sind auf Vorsicht und auf die Möglichkeit programmiert, immer das Schlimmste anzunehmen â wenn nicht, stirbt die Tierart aus (und sehr viele Tierarten wie der Riesenvogel Moa auf Neuseeland sind ja auch wegen ihres Mangels an Vorsicht ausgestorben; als die ersten Menschen kamen, lieÃen sie sich einer nach dem anderen von Hand fangen und verspeisen).
»Wo die Angst im Leibe steckt, da ist auch Gefahr allethalben«, schreibt Jeremias Gotthelf in Zeitgeist und Bernergeist. Das Gefühl der Angst ist also ein normales Warnsignal. »Es entspricht dem Gebot der Klugheit, vorbeugend über drohende Gefahren nachzudenken, ihre Abwendung zu planen und praktische MaÃnahmen dagegen zu ergreifen«, ergänzt der Schweizer Wissenschaftsjournalist Robert Nef. Angst und Furcht entwickeln, mit den bekannten Reaktionen wie weglaufen, sich bewaffnen, Hilfe organisieren usw., ist mehr als nützlich, es ist überlebenswichtig.
Auch der Ekel, der viele Menschen beim Geruch oder beim Anblick gewisser Dinge wie Schlangen, Spinnen, Maden, Blut, Eiter, Gestank oder Schimmel überkommt, ist nur ein â wenn auch übertriebener und zuweilen krankhaft überhöhter â genetisch programmierter Schutz; so meiden wir verdorbene Lebensmittel, gefährliche Tiere oder Umweltgifte. Auch hier mag es Vorfahren gegeben haben, denen das alles gleichgültig war; sie haben aber gleichfalls kaum Nachkommen hinterlassen. So gesehen sind also die Alarmisten in den Redaktionen unserer Ãkozeitschriften nur wohlerzogene Schimpansen, die genau das tun, was die Evolution als lebensrettend in unserem Verhalten fest verdrahtet hat.
Und über 6990 Generationen war das auch das Beste, was die Menschen tun konnten. Dann aber wurde das Wunder der Elektrizität entschlüsselt, die Materie in ihre Bausteine zerlegt, das Telefon, der Funk, das Fernsehen, das Internet erfunden, es gab auf einmal Düngemittel, Fertigpizza, Tiefkühlmarmelade, die Pharmaindustrie entstand, Atome wurden gespalten und Menschen auf den Mond geschickt. Und all die nützlichen Regeln, die uns so lange am Leben erhalten haben, sind auf einmal falsch.
Eine Gruppe Cromagnonmenschen am Fuà der Alpen konnte es sich nicht leisten, lange über Gift in Beeren oder Früchten nachzudenken. War Gift drin, das heiÃt wurde es einem in der Gruppe schlecht oder starb man gar daran, war dieses Nahrungsmittel ab sofort tabu. So nistete sich in unseren Genen eine Urangst vor dem Vergiftetwerden ein. Und auch schlechtes Trinkwasser rührte man nicht an. Wenn es faulig roch oder tote Fische darin herumschwammen, ging man woanders hin. Auch hier hat es sicher Vertreter der Spezies gegeben, denen das egal war, aber die haben â so wie der Säbelzahnbezwinger â nicht lange überlebt. Und so wurde in unseren Genen die Botschaft fest verdrahtet: Wenn irgendwo etwas Giftiges drin ist, Hände weg. Das sagen eine halbe Million Jahre menschlicher Erfahrung, das sagt unser Bauch.
Der aber wurde â zumindest offiziell â spätestens im Zeitalter der Aufklärung durch unsere grauen Gehirnzellen, durch den Geist als Kommandozentrale abgelöst. Nicht umsonst ist diesem Buch ein Zitat des gröÃten Vertreters dieser Zeitenwende, des deutschen Philosophen Immanuel Kant, vorangestellt. Denn der Bauch als Entscheider war nur so lange nützlich, wie Gifte erst dann zutage traten, wenn sie in einer Schaden stiftenden Menge vorhanden waren. Sobald aber Schadstoffe auch in kleinen und kleinsten Mini-Dosen aufgefunden werden, ist dieses Verhalten kontraproduktiv und selbst wieder tödlich â im Prinzip dürften die Anhänger einer Null-Schadstoff-Ideologie heute überhaupt nichts essen und wären dann genauso tot.
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Das ist eine der vielen Sackgassen der Evolution. Eine weitere hat dazu geführt, dass wir zunächst reagieren und dann erst denken. Als unsere Vorfahren jagend und sammelnd in kleinen Gruppen durch die Savanne streiften, und ein Tiger zeigte sich am Horizont, da sprang man sofort auf den nächsten Baum.
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