Die Angst der Woche
als 1000 Firmen in Essen zur Messe »Security«, der weltweit gröÃten ihrer Art, versammeln und dort ganz offenbar auch gute Geschäfte machen, so ist das zum Teil auch eine Folge von eingebildeten Gefahren. Für 35 Euro Eintritt konnte man sich auf der vorläufig letzten »Security« darüber informieren, wie man seinen Privatgarten »unauffällig zu einer Hochsicherheitszone umrüsten kann« (aus der Pressemitteilung der Veranstalter). Das funktioniert durch ein in einer Gartenleuchte verstecktes Sicherheitssystem: »Da es mit elektromagnetischen Wellen arbeitet, wird auch bei Dunkelheit oder schlechter Witterung jeder Eindringling entdeckt.«
Auch Videoüberwachungsanlagen haben Hochkonjunktur. »Die Kameras nehmen auf, wer klingelt oder wer sich sonst vor der Schwelle bewegt, und speichern die Bilder in einem internen oder in einem angeschlossenen Speicher ⦠Tote Winkel, in denen sich jemand verstecken könnte, werden über Fischaugen-Objektive verhindert, deren Bilder werden dabei sofort in für die normalen Sehgewohnheiten des Betrachters angenehme Panoramabilder entzerrt.« Es gibt sogar schon Videokameras, »die die Einbruchüberwachung gleich mit übernehmen, entweder indem sie einen zusätzlichen Einbruchmelder integriert haben ⦠oder per Funk die Signale anderer Melder empfangen. Auch der weitere Weg bleibt kabelfrei, denn die Kamera sendet Alarmmeldungen und Bilder per Mobilfunk an Notrufzentralen oder andere Empfänger.«
Natürlich gibt es zahlreiche Sicherheitstechniken â Feuerlöscher, Rauchmelder, Sicherheitsschlösser usw. â, deren Nutzen klar zutage liegt. Aber nur damit kann man die mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz, die die deutsche Sicherheitsindustrie allein im Jahr 2009 erzielte, nicht bestreiten. Deren Produktion wächst weit schneller als die Kriminalität, wir reagieren heute allergisch auf viele Risiken, die uns zu anderen Zeiten gleichgültig gelassen hätten.
Natürlich ist es ganz normal, dass man vorsorgt, damit nichts geschieht. Man installiert einen Blitzableiter, und kein Blitz schlägt ein. Man leistet sich eine teure Alarmanlage, aber kein Einbrecher schleicht ins Haus usw. Auch hier sind die Ausgaben in gewisser Weise zum Fenster hinausgeworfen, aber sie sind als Kosten einer Versicherung zu betrachten. Irrational wird das Ganze erst, wenn die Kosten dieser Versicherung in keinem Verhältnis mehr zum möglichen Schaden stehen. Und das ist bei sehr vielen Reaktionen auf Panikattacken leider der Fall.
Während eines Sommerurlaubs in Italien hatten meine Frau und ich unser Auto in Pisa in der Nähe des Schiefen Turms geparkt. Ein Parkwächter erschien â zumindest hielten wir den Mann dafür â und drückte uns für zwei Euro einen Zettel in die Hand. Wie wir später sahen, war das eine Kaskoversicherung für den Fall, dass der Schiefe Turm auf unser Auto fällt.
Dem Mann seien die zwei Euros gegönnt. Aber wenn ganze Volkswirtschaften beginnen, gegen Trivialrisiken teuer vorzubeugen, dann haben wir ein Problem.
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Die beste Zusammenfassung dieses Kapitels ist ein Text, im Stern 1/2004 abgedruckt und vielen Lesern sicher aus dem Internet bekannt, wo er ohne Angabe des Verfassers auf Dutzenden von Seiten nachzulesen ist. Es ist eine Hommage an alle Menschen hierzulande mit einem Geburtstag vor 1978. Nachgeborene müssen nicht weiterlesen:
»Wenn du als Kind in den 50er-, 60er- oder 70er-Jahren lebtest, ist es zurückblickend kaum zu glauben, dass wir so lange überleben konnten! Als Kinder saÃen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags. Unsere Bettchen waren angemalt in strahlenden Farben voller Blei und Cadmium. Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flasche mit Bleichmittel. Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung für unsere Fingerchen. Auf dem Fahrrad trugen wir nie einen Helm. Wir tranken Wasser aus Wasserhähnen und nicht aus Flaschen. Wir bauten Wagen aus Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir nach einigen Unfällen klar. Wir verlieÃen morgens das Haus zum Spielen. Wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die StraÃenlaternen angingen. Niemand wusste, wo wir waren, und wir
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