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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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Wimpernzucken zuschauen wollte, bis die Augen brannten, aus Angst, man könnte mit dem Wimpernzucken die Bewegung der Wimpern vielleicht mit der Bewegung der Blätter verwechseln. In dem lehmigen Wasser spiegelten sich nicht einmal die Zweige, die fast schon hineintauchten.
    Außerhalb des Gesichtsfeldes gab es etwas, was Bloch, der starr auf das Wasser hinabschaute, zu stören begann. Er zwinkerte, als ob es an seinen Augen liege, blickte aber nicht hin. Allmählich geriet es in seinen Gesichtskreis. Eine Zeitlang sah er es, ohne es wahrzunehmen; sein ganzes Bewußtsein schien ein blinder Fleck zu sein. Dann, wie wenn in einem komischen Film jemand so nebenbei eine Kiste öffnet und weiterplappert und dann erst stockt und zur Kiste zurückstürzt, erblickte er unter sich im Wasser die Leiche eines Kindes.
    Er war dann zur Straße zurückgegangen. In der Kurve, wo die letzten Häuser vor der Grenze standen, kam ihm ein Gendarm auf einem Moped entgegen; er sah ihn schon vorher in dem Kurvenspiegel; dann erschien er wirklich in der Kurve, aufrecht auf dem Fahrzeug sitzend, mit weißen Handschuhen, die eine Hand auf der Lenkstange, die andre auf dem Bauch; die Reifen waren lehmbeschmutzt; in den Speichen flatterte ein Rübenblatt. Das Gesicht des Gendarmen verriet nichts. Je länger Bloch der Figur auf dem Moped nachschaute, desto mehr kam es ihm vor, als schaute er langsam von einem Zeitungsblatt auf und blickte durch ein Fenster hinaus in das Freie: der Gendarm entfernte sich immer mehr und ging ihn immer weniger an. Zugleich fiel Bloch auf, daß er das, waser sah, während er dem Gendarmen nachschaute, für kurze Zeit nur wie einen Vergleich für etwas anderes sah. Der Gendarm verschwand aus dem Bild, und Blochs Aufmerksamkeit wurde ganz oberflächlich. Im Grenzgasthaus, wohin er dann ging, traf er, obwohl die Tür zur Wirtsstube offen war, zunächst niemanden.
    Er stand eine Zeitlang da, öffnete dann noch einmal die Tür und schloß sie ausführlich von innen. Er setzte sich an einen Tisch in der Ecke und wartete, indem er die Kugeln hin und her schob, mit denen die gewonnenen Spiele im Kartenspiel gezählt wurden. Schließlich mischte er die Karten, die zwischen den Kugelreihen steckten, und spielte mit sich selber. Er geriet in eine Spielwut; eine Karte fiel ihm unter den Tisch. Er bückte sich und sah unter einem andern Tisch, zwischen Stühlen, die von allen Seiten davorgestellt waren, das Kind der Pächterin hocken. Bloch richtete sich auf und spielte weiter; die Karten waren so abgegriffen, daß ihm jede einzelne Karte dick aufgetrieben vorkam. Er sah in das Zimmer des Nachbarhauses hinein, wo der Schragen schon leerstand; die Fensterflügel waren weit offen. Draußen auf der Straße riefen jetzt Kinder, und das Kind unter dem Tisch schob schnell die Stühle weg und lief hinaus.
    Die Kellnerin kam vom Hof herein. Wie eineAntwort darauf, daß sie ihn da sitzen sah, sagte sie, die Pächterin sei zum Schloß gegangen, um den Pachtvertrag erneuern zu lassen. Der Kellnerin war ein Bursche gefolgt, der mit jeder Hand eine Kiste voll Bierflaschen schleppte; trotzdem hatte er den Mund nicht geschlossen. Bloch sprach ihn an, aber die Kellnerin sagte, er solle ihn nicht ansprechen, er könne nicht reden, wenn er so schwere Lasten trage. Der Bursche, der, wie es schien, etwas schwachsinnig war, hatte die Kisten hinter die Theke gestapelt. Die Kellnerin sagte zu ihm: »Hat er wieder die Asche auf das Bett geschüttet statt in den Bach hinein? Springt er nicht mehr die Ziegen an? Hackt er wieder die Kürbisse auf und beschmiert sich dann das Gesicht?« Sie stellte sich mit einer Bierflasche an die Tür, aber er antwortete nicht. Als sie ihm die Flasche zeigte, kam er auf sie zu. Sie gab ihm die Flasche und ließ ihn hinaus. Ein Katze stürzte herein, sprang in die Luft nach einer Fliege und fraß die Fliege sofort auf. Die Kellnerin hatte die Tür zugemacht. Während die Tür offengewesen war, hatte Bloch im Zollwachehaus nebenan das Telefon läuten hören.
    Hinter dem Burschen her ging Bloch dann zum Schloß; er ging langsam, weil er ihn nicht überholen wollte; er schaute ihm zu, wie er mit heftigen Gesten in einen Birnbaum hinaufzeigte, und hörteihn sagen: »Bienenschwarm!«, und er glaubte auch auf den ersten Blick, dort oben wirklich einen Bienenschwarm hängen zu sehen, bis er, als er die anderen Bäume angeschaut hatte, erkannte, daß hier und da an manchen Stellen nur die Baumstämme verdickt waren. Er sah, wie

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