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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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er sich neben einer Postautobushaltestelle auf eine Bank, die, wie ein Messingschild daran besagte, von der Sparkasse des Ortes gestiftet worden war. Die Häuser standen so weit entfernt, daß sie sich kaum mehr voneinander unterschieden; als die Glocken zu läuten anfingen, waren sie in dem Glockenturm nicht zu erkennen. Ein Flugzeug flog so hoch über ihm, daß er es nicht sehen konnte; nur einmal blinktees. Neben ihm auf der Bank war eine eingetrocknete Schneckenspur. Unter der Bank war das Gras noch naß vom Tau der letzten Nacht; die Zellophanhülle einer Zigarettenschachtel war dunstig beschlagen. Links von sich sah er … Rechts von ihm war … Hinter sich sah er … Er wurde hungrig und ging weiter.
    Zurück im Gasthaus. Bloch bestellte einen Aufschnitt. Die Kellnerin schnitt mit einer Brotschneidemaschine Brot und Wurst und brachte ihm die Wurstblätter auf einem Teller; obenauf hatte sie etwas Senf gedrückt. Bloch aß, es wurde schon finster. Draußen hatte sich ein Kind beim Spielen so gut versteckt, daß es nicht gefunden wurde. Erst als man zu spielen aufgehört hatte, sah Bloch es auf der leeren Straße gehen. Er schob den Teller von sich weg, schob auch den Bierdeckel von sich weg, schob den Salzstreuer von sich weg.
    Die Kellnerin brachte das Kind ins Bett. Später kam das Kind in die Wirtsstube zurück und lief im Nachthemd zwischen den Leuten hin und her. Vom Fußboden schwirrten ab und zu Motten auf. Die Pächterin trug das Kind nach ihrer Rückkehr wieder ins Schlafzimmer.
    Die Vorhänge wurden zugezogen, und die Wirtsstube wurde voll. An der Theke sah man einige Burschen stehen, die jedesmal, wenn sielachten, einen Schritt zurücktraten. Daneben standen Mädchen mit Ballonseidenmänteln, als ob sie gleich wieder gehen wollten. Man sah, wie einer der Burschen was erzählte und wie die anderen Burschen starr wurden, kurz bevor sie alle auf einmal vor Lachen aufschrien. Wer saß, saß möglichst an der Wand. Man sah den Greifer in der Musicbox nach einer Platte fassen, man sah, wie der Tonarm zuschlug, man hörte, wie einige, die auf ihre Platten warteten, verstummten; es nützte nichts, es änderte nichts. Und es änderte nichts, daß man, als die Kellnerin den Arm müde hängen ließ, unter dem Westenärmel heraus die Armbanduhr aufs Handgelenk rutschen sah, daß der Hebel der Kaffeemaschine langsam hinaufging und daß man hörte, wie jemand, bevor er die Streichholzschachtel aufmachte, sie ans Ohr hielt und schüttelte. Man sah, wie längst leere Gläser immer wieder angesetzt wurden, wie die Kellnerin ein Glas anhob, um zu prüfen, ob sie es mitnehmen könnte, wie die Burschen sich scherzhaft ohrfeigten. Nichts half. Es wurde erst wieder ernst, als jemand rief, daß er zahlen wolle.
    Bloch war ziemlich betrunken. Alle Gegenstände schienen außer seiner Reichweite zu sein. Er war so entfernt von den Vorgängen, daß er selber in dem, was er sah oder hörte, gar nichtmehr vorkam. Wie Luftaufnahmen! dachte er, während er die Geweihe und Hörner an der Wand anschaute. Die Geräusche kamen ihm vor wie die Nebengeräusche, wie das Husten und Räuspern bei Gottesdienstübertragungen im Radio.
    Später trat der Sohn des Gutsbesitzers herein. Er trug Knickerbocker und hängte seinen Mantel so dicht neben Bloch auf, daß dieser sich zur Seite beugen mußte.
    Die Pächterin setzte sich zu dem Sohn des Gutsbesitzers, und man hörte, wie sie ihn im Sitzen fragte, was er trinken wolle, und wie sie die Bestellung dann der Kellnerin zurief. Eine Zeitlang sah Bloch beide aus einem Glas trinken; sooft der Bursche etwas sagte, stieß ihn die Pächterin darauf in die Seite; und als sie mit der flachen Hand schnell über das Gesicht des Burschen fuhr, sah man ihn nach der Hand schnappen und darüberlecken. Dann hatte sich die Pächterin an einen andern Tisch gesetzt, wo sie, indem sie dort einem Burschen durch das Haar fuhr, ihre geschäftsmäßigen Bewegungen fortsetzte. Der Sohn des Gutsbesitzers war wieder aufgestanden und hatte hinter Bloch in den Mantel nach den Zigaretten gegriffen. Als Bloch auf die Frage, ob der Mantel ihn störe, den Kopf schüttelte, hatte er bemerkt, daß er schon seit einiger Zeit nicht vom Fleckgeschaut hatte. Bloch rief: »Zahlen!«, und wieder schienen für kurze Zeit alle ernst zu werden. Die Pächterin, die gerade mit zurückgelegtem Kopf eine Weinflasche öffnete, gab der Kellnerin, die hinter der Theke stand und Gläser wusch, die sie auf eine Schaumgummiunterlage stellte, die

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