Die Angst des wei�en Mannes
europäischen Mutter aus Kansas war sich vielleicht nicht ganz bewußt, daß er mit diesem Eingeständnis die Fackel weitergereicht, daß er mit dem Verzicht auf das eigene Machtmonopol die bislang exklusive Vor rangstellung des weißen Mannes, die spätestens 1945 den USA zu gefallen war, zur Disposition stellte.
Weit weniger Aufsehen und politisches Gewicht kommt einem Zwischenfall zu, der sich in der Vorbereitungsphase der Frankfurter Buchmesse des Jahres 2009 zutrug. Aber die symbolische Bedeutung ist beachtlich. Als die Messeleitung zwei chinesische Dissiden tenals Kronzeugen der repressiven Literaturzensur der Volksrepublik aufrufen und sie in dieser Veranstaltung kulturellen Austausches als allein glaubhafte Repräsentanten des Reichs der Mitte darstellen wollte, entfesselte sie den Zorn des offiziellen Delegationsleiters Mei Zhaorong. Der ehemalige Botschafter in der Bundesrepublik ist ein guter persönlicher Bekannter aus alten Tagen, den ich jedes Mal konsultiere, wenn ich mich in Peking aufhalte. Er hatte sich von seiner Freundschaft für Deutschland auch nicht abbringen lassen, als die üblichen Trupps von Wichtigtuern und »Betroffenen« sein Botschaftsgebäude in Bonn belagerten und die tragischen Vorfälle am Platz des Himmlischen Friedens nutzten, um sich selbst in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken.
Als ich den Zornesausbruch dieses freundlichen, auf Harmonie bedachten Diplomaten auf dem Bildschirm erlebte, als Mei Zhao rong plötzlich als beleidigter »Drachensohn« auftrat, kam mir der Gedanke an jenen hochtrabenden Auftritt Wilhelms II. in Bremer haven und seine törichte Hunnenrede. Die Deutschen täten gut daran, sich dieser kaiserlichen Arroganz zu entsinnen. Die Erwi derung Mei Zhaorongs zitiere ich aus dem Gedächtnis. Er sei die Unkenntnis, die Unterstellungen, die Verleumdungen deutscher Medien leid, so beschwerte er sich. »So konnten Sie vielleicht in früheren Zeiten mit China umspringen. So haben Sie sich in der Vergangenheit aufgeführt. Aber heute lassen wir uns diese Belei digungen und Schmähungen nicht mehr gefallen. Diese Zeiten sind vorbei!« – Furcht kam bei dieser Erklärung nicht auf, aber die Vision europäischer Unzulänglichkeit und einer zutiefst veränder ten Welt.
Cantoprimeiro
OST-TIMOR
Portugals letzter Gesang
»Nehmt Rat von jenen, die Erfahrung bieten,
Die lange Jahre, Monate durchschritten.
Hält der Gelehrte sich auch in Bewahrung,
Vermittelt doch viel Wissen die Erfahrung.«
Aus den »Lusiaden« (Canto decimo)
von Luís Vaz de Camões
Ein Trümmerfeld wird unabhängig
Dili, im März 2008
Vor zwei Stunden ist die kleine brasilianische Maschine vom Typ Embraer im nordaustralischen Hafen Darwin gestartet. Die öst liche Sunda-Insel Timor, die unter der Tragfläche auftaucht, ist von tiefen Klüften durchzogen, von tropischem Dickicht überwuchert. Ein vorzügliches Partisanengelände. Die martialische Beurteilung entspricht nicht etwa der Zwangsvorstellung, der »déformation professionnelle« eines gealterten Kriegskorrespondenten. Diese winzige Republik Timor-Leste, eine Inselhälfte von den Ausmaßen Schleswig-Holsteins mit knapp einer Million Einwohnern, die erst am 20. Mai 2002 als 191. Mitglied der Vereinten Nationen aner kannt wurde, ist in den vergangenen Jahrzehnten von einer ganzen Serie grauenhafter Konflikte heimgesucht worden. Schätzungs weise ein Viertel der Bevölkerung ist dabei ums Leben gekommen.
AnWarnungen hatte es nicht gefehlt. In diesem fernen südost asiatischen Fetzen des verflossenen portugiesischen Kolonialrei ches herrsche weiterhin Mord und Totschlag, hieß es in den offi ziellen Mitteilungen. Tatsächlich steht die Hauptstadt Dili unter Ausnahmezustand. Blauhelme der UNO überwachen nächtens das Ausgangsverbot. Während das Flugzeug auf der kurzen Rollbahn zum Stehen kommt, fällt der Blick auf die grau getönten Kampf hubschrauber der australischen Streitkräfte, die unweit der schnee weißen Helikopter der Vereinten Nationen geparkt sind. Im be scheidenen Abfertigungsgebäude, das mitsamt einer komfortablen VIP-Lounge nach den Verwüstungen des Jahres 2006 in aller Eile wiederhergerichtet wurde, kommt jedoch kein Gefühl akuter Be drohung auf.
Das liegt vor allem an der Gastlichkeit des deutschen Teams der »Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit«, die in Ermange lung einer permanenten diplomatischen Vertretung der Bundesre publik in Dili die deutsche Interessenvertretung mit Effizienz und beruflichem
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