Die Angst des wei�en Mannes
intensiven persönlichen Erfahrung des Autors gewidmet, dass die dominante Ära des »weißen Mannes«, der sich um 1900 die ganze Welt untertan gemacht hatte, ihren Endpunkt erreicht hat. Genau ein halbes Jahrtausend hat diese phänomenale Expansion und ihre zähe Beharrung gedauert. Die einseitige Vorrangstellung Europas wurde im zwanzigsten Jahrhundert durch die Vereinigten Staaten von Amerika – von de Gaulle als »Tochter Europas – fille de l’Europe« bezeichnet – abgelöst und amplifiziert. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges sieht sich diese transatlantische Allianz globalen Machtverschiebungen ausgesetzt, denen sie schon aus demographischen Gründen nicht gewachsen ist. Dem »weißen Mann« ist ja nicht nur das Monopol industrieller und militärischer Überlegenheit abhanden gekommen. Ihm fehlen heute vor allem das Sendungsbewußtsein, die Lust am Abenteuer sowie die Bereitschaft zur Selbstaufopferung, auf die sich sein imperialer Anspruch gründete. Literarisch eingeleitet wurde die Epoche des europäischen Imperialismus durch die mythischen Navigatoren-Gesänge des Portugiesen Luís Vaz de Camões. Ihr Ende wurde symbolisch angedeutet in Rudyard Kiplings Legende von dem »Mann, der König sein wollte«und der in den Schluchten von Kafiristan – so nannte man damals die afghanische Provinz Nuristan – in einen bodenlosen Abgrund stürzte. Dieser »Abgesang« ist weder eine pathetische Prophezeiung noch eine nostalgische Klage. Die Zusammenstellung der sehr unterschiedlichen Kapitel habe ich dem Zufall meiner Reiseroute überlassen. In diesem Punkt fühlte ich mich den Weltumseglern der Entdeckerzeit verbunden, die in ozeanische und terrestrische Weiten vorstießen, ohne sich ihrer präzisen Zielsetzung bewußt zu sein. Die geographische Dimension dieser Saga des Niedergangs ist zwangsläufig unvollständig und müßte durch weitere Regionen ergänzt und bestätigt werden. Das Projekt steht uns ja noch bevor.
Man mag mir entgegenhalten, die »Angst des weißen Mannes« sei ein Produkt meiner Phantasie, und es lebe sich doch weiterhin recht bequem in dieser »Brave New World«, die sich dem Multi kulturalismus und der Multiethnizität ergeben hat. Ich bin so alt, daß ich die Stunde einer akuten Bedrohung wohl nicht mehr er leben werde. Doch schon die kommende Generation wird sich mit der schmerzlichen Anpassung an eine inferiore Rolle im globalen Kräftespiel, an geschwundenes Prestige abfinden müssen und mit dem tragischen Fatum leben, daß den weißen Herren von gestern das sachte Abgleiten in Resignation und Bedeutungslosigkeit be vorsteht. Der Ausdruck »White Man« ist heute ja schon verpönt und mit dem Odium des Rassendünkels behaftet.
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Zunächst stellt sich die Frage: Wer ist überhaupt ein Weißer? So weit liegt der kollektive Wahnwitz ja nicht zurück, der sich in Alfred Rosenbergs Mythos des 20. Jahrhunderts offenbarte und zum Religionsersatz des Dritten Reiches wurde. Die Einwanderungsbehörden der USA, die über strenge ethnische Quoten wachten, hatten für die weißen Europäer den Ausdruck »Caucasian« gefunden. Ich will mich hier nicht in die verschiedenen Rassentheorien verirren, die von Gobineau, Houston Stewart Chamberlain und manchanderen in die Welt gesetzt wurden, um schließlich mit dem Arier-Begriff der Nationalsozialisten in grauenhafter Menschenverachtung, in mörderischer Selektion zu gipfeln. Schon sehr früh gab es den Begriff »Indoeuropäer«, der in Deutschland zur Wortbildung »Indogermanen« führte. Eine deutlich erkennbare linguistische Verwandtschaft spannte ja tatsächlich einen Riesenbogen verwandter Idiome vom Atlantik bis zum Ganges in den Ebenen Indiens. Sogar die Völker Afghanistans – Paschtunen und Tadschiken – reihten sich in diese Kategorie ein. Bei keinem Begrüßungsgespräch, das ich in den entlegensten Ortschaften am Hindukusch führte, hatte der Dorfälteste es versäumt, auf die enge Verbundenheit zwischen Afghanen und Deutschen zu verweisen, weil sie ja beide Arier seien. Das Wort selbst stammt wohl ursprünglich aus Persien, wo der Kulturkreis »Iran« sich in beinahe manichäischer Strenge von den Nomadenstämmen »Turans« absonderte. Der Schah-in-Schah Persiens trug bis zuletzt den Titel »Aria Mehr« – Leuchte der Arier.
In Teheran bin ich zu Zeiten Mohammed Reza Pahlevis mit dem Oberpriester der Zarathustra-Gemeinde zusammengetroffen, dem »Zarduschti«, wie man dort sagt. Diese Gruppe von etwa 30 000 Menschen wurde von der
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