Die Angst des wei�en Mannes
Lhasa vorstellten. Diese wissenschaftlich ge tarnte Farce ist in Vergessenheit geraten, und den wenigsten bleibt die Erinnerung an die kleine Truppe von Hindus in Wehrmachts uniform und Turban, die das Wappenschild »Jai Hind« – Freies In dien – auf dem Ärmel trugen und sich ideologisch auf den Nehru-Gegner Subhas Chandra Bose ausrichteten. Statt dessen pilgerte nach der Niederlage des Dritten Reichs eine ganz andere Katego rie deutscher Schwärmer und Mystiker an das Ufer des Ganges, um in den »Ashrams« betrügerischer hinduistischer Gurus Erleuch tung und Erlösung zu suchen.
Gelegentlich ist der Verdacht geäußert worden, daß die magische Faszination wie auch die Nachsicht gegenüber dem unerträglichen Kastensystem der hinduistischen Gesellschaft, die bei so manchen Deutschen anzutreffen sind, auf ein imaginäres Zusammengehörig keitsgefühlaller Arier zurückzuführen sei. Eines ist sicher: In der Rivalität der Giganten Indien und China, die in unseren Tagen ausgetragen wird, neigt die spontane Sympathie des Westens den »wesensverwandten« Hindus zu, während die Volksrepublik China, deren ökonomische und soziale Errungenschaften das indische »Wirtschaftswunder« weit überflügeln, in den westlichen Medien einer negativen Polemik ausgesetzt ist.
Selbst bei den Chinesen, die mit Verwunderung auf die europäi schen Feriengäste blicken, die sich stundenlang der prallen Sonne aussetzen, um mit möglichst intensiver Urlaubsbräune die Heim reise anzutreten, scheint irgendwie die Vorstellung zu gelten: »White is beautiful«. Die dortigen Schönen gehen frühestens am Abend an den Strand, um jede Verfärbung ihres Elfenbeinteints zu vermeiden. Wer wird am Ende definieren können, wer zu den Wei ßen oder zu den Farbigen zählt? Im Rückblick zu erwähnen ist vor allem die absurde Apartheidpolitik, die Pigmentokratie Südafrikas, wo offizielle Ausschüsse anhand des Erscheinungsbildes einer Per son darüber entschieden, ob er als »white« oder als »coloured« re gistriert wurde.
In Québec wiederum bin ich auf Franco-Kanadier gestoßen, die während ihrer militärischen Dienstzeit – wenn sie sich auf franzö sisch ausdrückten – von ihren britischen Offizieren gerügt wurden: »Speak white« – Sprich wie ein Weißer, das heißt, sprich Englisch. In Afrika unterscheiden die französischen Geographen heute noch zwischen »l’Afrique blanche« nördlich und »l’Afrique noire« süd lich der Sahara. Und noch eine letzte Kuriosität: In der Vorstellung des durchschnittlichen Arabers, der seine semitischen Vettern aus der hebräischen Erbfolge Abrahams oder Ibrahims als aggressive Vorhut des amerikanischen Imperialismus schmäht und – soweit sie dem Zweig der Aschkenazim angehören – als Kreuzzügler unter dem David-Stern befehdet, dürften wohl auch die Juden den »Wei ßen« zuzuordnen sein.
Wir wollen uns nicht in Spekulationen über Hautschattierungen und deren politische Auswirkungen verlieren und auch nicht die Europäer allein des Rassismus bezichtigen. Eine extreme Form ethnischerDiskriminierung haben wir unlängst noch in Ruanda erlebt, einem Territorium im »Herzen der Finsternis«, das vor dem Ersten Weltkrieg Bestandteil von Deutsch-Ostafrika war. Dort entlud sich die Todfeindschaft zwischen den hochgewachsenen, heller getönten Niloten vom Volk der Tutsi und der erdrückenden Mehrzahl der kleinen, tiefschwarzen Bantu-Stämme der Hutu, die von jenen seit Menschengedenken wie Leibeigene oder Sklaven mißhandelt wurden, in einem gräßlichen Genozid.
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In seiner Rede vor den Vereinten Nationen im September 2009 hat Barack Hussein Obama eine bemerkenswerte Kehrtwende, eine kategorische Distanzierung von den Hegemonialallüren seines Vorgängers George W. Bush vollzogen, die in ihrer Bedeutung noch nicht ganz erkannt wurde. Dem Unilateralismus der ameri kanischen Führungsmacht hat er entsagt und eingestanden, daß den Vereinigten Staaten nicht länger die Mittel zur Verfügung stünden, die Welt nach ihren Vorstellungen auszurichten. »Dieje nigen, die früher Amerika für seine Alleingänge gerügt haben, kön nen nun nicht einfach nur herumstehen und darauf warten, daß die USA die Probleme der Welt allein lösen«, hat er seine Verbünde ten ermahnt. »Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dann müssen wir zugeben, daß wir unserer Verantwortung nicht mehr gerecht werden.« Der in Hawaii geborene, in Indonesien aufgewachsene Sohn eines afrikanischen Vaters aus Kenia und einer
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