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Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken

Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken

Titel: Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Spindler
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entscheiden, ob durch Schmerz oder Wut. „Niemand schien es zu bemerken oder zu kümmern. Sie feierten die Party einfach weiter.“
    Die Party. Das Leben. Ben verstand. Er beugte sich vor. „Denken Sie darüber nach, ob diese Fantasien Ihre Gefühle über den Tod der Mutter widerspiegeln. Ihre Ambivalenz, Ihren Zorn und Ihre Isolation. Wir sprechen in der nächsten Sitzung kommende Woche darüber.“
    Ben stand auf, ein Zeichen, dass ihre Zeit vorüber war. Er brachte Rick an die Praxistür, wünschte ihm eine angenehme Woche und sagte gute Nacht.
    Er sah seinen Patienten den Warteraum durchqueren und kehrte lächelnd, voller Vorfreude an den Schreibtisch zurück. Rick war heute sein letzter Patient gewesen. Sobald er die Notizen über die Sitzung überflogen und den Schreibtisch aufgeräumt hatte, gehörte das Wochenende ihm.
    Und er hatte vor, es ganz seinem Buch zu widmen: einer Abhandlung über die Auswirkungen früher Kindheitstraumata – besonders physischer, psychischer und sexueller Misshandlungen – auf die Persönlichkeitsentwicklung.
    Die Idee dazu war im ersten Jahr seiner Arbeit als praktizierender Kliniker entstanden, als er an einer Klinik in Atlanta gearbeitet hatte. Die Idee hatte sich im nächsten Jahr verfestigt, als er der „Peachtree Road Psychiatergruppe“ beigetreten war. Die Patienten hätten kaum unterschiedlicher sein können als in beiden Einrichtungen, und doch sah er immer wieder dieselben Auswirkungen von Kindheitstraumata auf die spätere Persönlichkeit.
    Zwei Dinge hatte er gelernt: zum einen, dass Kindesmisshandlungen alle sozialen, ökonomischen und ethnischen Grenzen übersprangen. Und zum anderen, dass sich die Folgen dieser Misshandlungen in vorhersehbaren Mustern pathologischer Erscheinungen beim späteren Erwachsenen zeigten. Er hatte nach Arbeiten anderer Wissenschaftler zu diesem Thema gesucht und sich in die Forschungen von Klinikern vertieft.
    Als sich diese Nachforschungen ansammelten, war in ihm der Wunsch entstanden, sie in einem Buch zusammenzufassen. Er betrat damit kein Neuland. Sein Buch war nicht das erste zu diesem Thema und würde nicht das letzte sein. Er wollte es jedoch populärwissenschaftlich schreiben, so dass es den normalen Leser ansprach. Sein Ziel war es, durch Aufklärung zu helfen.
    Einmal begonnen, wurde das Schreiben zu einer Besessenheit, der er so viel Zeit wie möglich widmete.
    Beim Verlassen der Praxis sah er sich wieder kurz im geschliffenen Glas seines antiken Spiegels. Es war ein flüchtiger Blick, und er blieb erschrocken stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde war er sich fremd vorgekommen.
    Wie wer, um Himmels willen? Wie der Mann im Mond? Wie Rick Richardson? Er dachte an seinen blendend aussehenden Patienten. So auszusehen, davon konnte er nur träumen. Er betrachtete sich erneut im Spiegel: mittelgroß, mittelschlank, mittelbraunes Haar und braune Augen. Und eine Brille, die ihn wie den Bücherwurm aussehen ließ, der er war.
    Er würde nie ein Ladykiller werden. Seinetwegen fielen die Frauen nicht reihenweise in Ohnmacht.
    Das war auch okay so. Darauf legte er keinen Wert.
    Er war klug und zuverlässig und ein guter Sohn. Und eines Tages, wenn er die richtige Frau fand, würde er ein treusorgender Ehemann und Vater sein.
    Er fühlte sich wohl in seiner Haut. Er mochte den Ben Walker, der er geworden war, und ihm gefiel der Weg, den er eingeschlagen hatte.
    Lächelnd schaltete er das Licht in der Praxis aus, verschloss die Tür hinter sich und ging in den Warteraum.
    Er war ein Einmann-Unternehmen. Er hatte nicht mal eine Empfangssekretärin. Er brauchte keine. Seine Termine machte er selbst. Wenn er Sitzungen hatte, nahm ein Telefondienst alle Anrufe entgegen, und ein Computerprogramm half ihm bei der Buchführung. Bisher war sein Kontakt zu Versicherungsfirmen minimal gewesen. Er war autark und hatte nichts mehr gemein mit der Psychiatergruppe in Atlanta mit ihren Luxusräumen und den zwanzig Angestellten.
    Aber er vermisste das nicht. Er gehörte hierher. Wenn die Praxis größer wurde, würde er vermutlich jemand anstellen müssen. Den Tag bedauerte er heute schon. Seine Praxis nahm eine Hälfte eines Doppelhauses im Garden District ein. Die andere bewohnte er. Das war bequem, intim und heimelig. Durch Angestellte würde sich das ändern. Andererseits waren Veränderungen unvermeidbar und ein unausweichlicher Teil des Lebens.
    Ben ging zu dem niedrigen Tisch, legte die Magazine zusammen und bemerkte den großen Umschlag, der

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