Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
sein, dass sie so ganz in der Versenkung verschwand. Ich kann mir gut vorstellen, wie zornig und hilflos Sie sich fühlen müssen.“
„Harlow ist ganz gewiss nicht in der Versenkung verschwunden!“ trumpfte sie stolz auf, ihre Tochter zu verteidigen. „Sie ist Krimiautorin und lebt in New Orleans. Und sie ist ziemlich erfolgreich, möchte ich hinzufügen. Ihre ersten beiden Bücher bekamen überschwängliche Kritiken.“
„Eine Krimiautorin“, sagte der Interviewer leise. „Es erstaunt mich, dass ich nicht früher davon gehört habe. Vermutlich hätte schon der Name Harlow Grail sie zum Bestseller gemacht, denken Sie nicht auch?“
„Sie hat ein Pseudonym angenommen. Nach allem, was sie durchgemacht hat, meidet sie das Rampenlicht. Sicher verstehen Sie das.“
Der Interviewer gab einen Laut der Zustimmung von sich, und fügte, für Anna verlogen klingend, hinzu: „Das verstehe ich völlig. Aber sicher können Sie uns ein wenig mehr erzählen. Schließlich hielt Harlows albtraumhafte Entführung und ihre heldenhafte Flucht Amerika zweiundsiebzig Stunden in Atem. Wir bangten um sie und bejubelten sie. Sie war und ist immer noch eine unserer Heldinnen. Können Sie uns wenigstens einen ihrer Buchtitel nennen?“
„Ich wünschte, ich könnte, aber …“
„Wer ist der Verleger? Doubleday, Cheshire House?“ Er sah an ihrer Mimik, dass der letzte Name richtig war. „Cheshire House verlegt große Namen des Genres. Gehört Harlow auch dazu?“
Aufgebracht drückte Anna den Pausenknopf. Der eigene Blutstrom dröhnte ihr in den Ohren, während sie auf das Standbild ihrer Mutter starrte. Savannah hatte fast alles über sie preisgegeben, bis auf ihren Namen und die Telefonnummer. Wahrscheinlich musste sie dankbar sein, dass nicht auch noch ihre Adresse oder der Blumenladen genannt worden waren.
Beruhige dich, keine Panik! Schätze den Schaden nüchtern ein.
New Orleans war eine große Stadt mit einer großen Autorengemeinde. In keiner Veröffentlichung des Verlages erschien ihre Anschrift. Außerdem hatte ihre Mutter kein Erscheinungsdatum ihrer Bücher erwähnt. Und Cheshire House verlegte viele Autoren.
Sie drückte auf den Startknopf und ließ das Video weiterlaufen. Ihre Mutter sah geschafft aus, den Tränen nahe. Der Interviewer ließ es gut sein. Einen Moment später wurde die Mattscheibe dunkel, bis auf einige in Weiß geschriebene Worte.
Überraschung, Prinzessin. E!. Heute um drei.
8. KAPITEL
Samstag, 13. Januar,
15 Uhr 10.
Ben verpasste am Samstagnachmittag die ersten zehn Minuten der Sendung auf E!. Das Programm befasste sich heute mit rätselhaften Ereignissen in Hollywood.
Ben ließ sich aufs Sofa fallen und lehnte sich erschöpft zurück. Bei seinen Recherchen gestern Abend war er eingeschlafen. Er erinnerte sich nur vage, dass er irgendwann in der Nacht ins Bett gewankt war. Erwacht war er vor Anbruch der Morgendämmerung, hatte angezogen quer über dem Bett gelegen und sich gefühlt, als hätte er stundenlang den Mond angeheult, anstatt am Schreibtisch zu schlafen.
Das Programm wurde für eine Werbeeinblendung unterbrochen. Der Moderator bat das Publikum, am Gerät zu bleiben, und kündigte das nächste Thema an: ein Märchen, das zum Albtraum wurde. Die Entführung der Harlow Anastasia Grail.
Ben beugte sich aufmerksam vor. Die Grail-Entführung gehörte zu den Fällen, die in regelmäßigen Abständen immer wieder von den Medien aufgegriffen wurden. Der Fall besaß alle Elemente, die ihn zeitlos spannend machten. Schöne Menschen mit Hollywood-Verbindungen, Reichtum, Kinder in Gefahr, ein sowohl tragisches wie triumphales Ende und ein ungelöstes Rätsel.
Der Moderator kehrte zurück und fasste die Geschichte der kleinen Hollywoodprinzessin, die auf dem elterlichen Anwesen in Beverly Hills mit ihrem Freund entführt wurde, kurz zusammen. Anhand alter Nachrichtensendungen und nachgespielter Szenen wurde das Ganze noch einmal dargestellt, inklusive Harlow Grails dramatischer Flucht.
Ben nahm jedes Wort begierig auf. Was war mit Harlow geschehen? Was war nach dieser Tortur aus ihr geworden? Wie hatte der Horror jener drei Tage den Menschen beeinflusst, der sie heute war? Welche Auswirkungen hatte es auf ihre Entscheidungen und Beziehungen im Leben?
Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, wurde ein kürzlich aufgenommenes Interview mit Savannah Grail eingeblendet. Minuten später widmete sich das Programm einem anderen Rätsel.
Ben schaltete den Fernseher aus und lehnte
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