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Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken

Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken

Titel: Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Spindler
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einen unterschwelligen Zorn an Rick bemerkt, vor allem auf Frauen. Das war bei der Erwähnung eines banalen Streits mit seiner Frau durchgeblitzt und in seiner Haltung gegenüber seiner Vorgesetzten. Wortwahl, Körpersprache und leichte Veränderungen der Mimik waren verräterisch gewesen.
    Ben vermutete, dass die wahre Ursache für Rick Richardsons unbewältigten Zorn seine dominante und ihn ablehnende Mutter war. Sein Patient war nur bisher nicht bereit, das zuzugeben. Dass sie gestorben war, ehe sie ihre Probleme ausräumen konnten, verstärkte nur seine Wut, die sich nach außen oder nach innen richten konnte.
    Er rechnete damit, dass ihnen einige schwierige Sitzungen bevorstanden.
    „Sie war eine gute Mutter, Dr. Walker“, sagte Rick plötzlich in trotzigem Ton. „Eine sehr gute Mutter.“
    „War sie das?“
    Rick sprang auf und ballte die herabhängenden Hände zu Fäusten. An seiner Stirn trat eine Vene hervor. „Was zum Teufel soll das heißen? Sie haben sie doch gar nicht gekannt! Sie wissen nichts über unsere Beziehung oder über sie als Mensch.“
    „Ich weiß, was Sie mir erzählt haben“, erwiderte Ben ruhig. „Und ich würde wirklich gern mehr erfahren.“
    Rick starrte ihn einen Moment an und wandte den Blick ab. „Ich möchte jetzt nicht darüber reden.“
    Ben sah seinen Patienten ruhelos im Raum hin und her gehen. „Warum nicht?“
    Rick drehte sich ruckartig zu ihm um. „Weil ich nicht will! Reicht das nicht als Begründung? Warum müssen Sie so auf mir herumhacken? Genau wie meine Frau. Wie meine Mut… Scheiße.“
    „Hat Ihre Mutter auf Ihnen herumgehackt?“
    Er errötete. „Ich sagte, ich will nicht darüber reden.“
    „Gut. Wir haben noch ein paar Minuten übrig. Reden Sie, worüber Sie möchten.“
    Wie erwartet, wählte sein Patient das weniger emotionsbeladene Thema des Jobs und ging weiter hin und her. Ben verfolgte seine Bewegungen. Dabei erhaschte er in dem großen, goldgerahmten Spiegel auf der gegenüberliegenden Wand einen Blick auf sich selbst. Der Spiegel war ein Luxusgegenstand, ein Geschenk, das er sich zu seinem fünfundzwanzigsten Patienten gemacht hatte.
    Der fünfundzwanzigste Patient. Vor anderthalb Jahren hatte er noch in einer aufstrebenden psychiatrischen Praxis in Atlanta gearbeitet, mit dem Angebot einer Partnerschaft auf dem Tisch. Er hatte darauf verzichtet und war seiner alten Mutter nach New Orleans gefolgt.
    Ihr Umzug war ein Schock für ihn gewesen. Sie hatte einfach ihre Sachen gepackt und war gegangen. Später hatte sie darauf beharrt, es sei doch sein Vorschlag gewesen. Letztlich hatte er ihren spontanen Einfall jedoch als Glücksfall und als Weckruf empfunden.
    Ihr bizarres Verhalten hatte ihn gezwungen, sich intensiver mit ihr zu befassen. Dabei hatte er gemerkt, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Etwas, das über reine Vergesslichkeit hinausging. Die Testergebnisse hatten ihm bestätigt, sie litt an Alzheimer im Frühstadium.
    Er war entsetzt gewesen und hatte sich Vorwürfe gemacht, so unaufmerksam gewesen zu sein. Schließlich war er Doktor der Psychologie. Er hätte merken müssen, was mit ihr los war, und das lange, bevor sie in diesen Zustand geriet. Seit Jahren verwechselte sie Menschen und Ereignisse, vergaß Verabredungen und besondere Daten. Er hatte sich eingeredet, dass viele Menschen im Alter vergesslich wurden, bis er nicht mehr umhin konnte, sich den Tatsachen zu stellen.
    Ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft in New Orleans hatte er sie überzeugt, dass sie glücklicher – und sicherer – in einem Altenheim lebte.
    „Ich habe wieder davon fantasiert zu sterben.“
    Ben richtete sich auf, sofort auf seinen Patienten konzentriert. „Erzählen Sie mir davon, Rick.“
    „Da gibt es nichts zu erzählen.“
    „Wenn das stimmte, hätten Sie es nicht erwähnt. Haben Sie davon fantasiert, Ihr Leben zu beenden? Oder haben Sie sich nur vorgestellt, wie die Welt ohne Sie wäre?“
    „Ich bin … einfach verschwunden. Ich war da, und plötzlich war ich weg.“
    Ben war erleichtert. Kein Kliniker, der sein Geld wert war, nahm Todesfantasien eines Patienten auf die leichte Schulter. Sich vorzustellen, einfach zu verschwinden, war jedoch weniger alarmierend. Rick hatte schon von ähnlichen Vorstellungen berichtet, immer in Zeiten großer emotionaler Belastung.
    „Wie haben Sie sich dabei gefühlt?“ fragte Ben.
    „Zornig.“ Rick blieb stehen. Sein attraktives Gesicht war durch starke Emotionen verzerrt. Ben konnte allerdings nicht

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