Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
ist meine beste Freundin.“
„Tabitha ist ein schöner Name. Wie sieht die Katze aus?“
„Sie ist getigert. Ihre Augen sind grün, und sie hat langes, weiches Fell.“
Jaye lächelte. „Wie alt bist du, Minnie?“
„Elf. Tabitha ist zwei.“
Jaye drängte sich enger heran und hörte die Katze schnurren. „Ich heiße Jaye, und ich bin fünfzehn.“
„Ich weiß. Er hat es mir gesagt.“
Jaye schauderte. „Wer ist er, Minnie? Dein Dad, oder …“
„Er ist Adam. Ich kenne seinen Nachnamen nicht.“
„Wie lange bist du schon bei ihm?“
„Lange“, erwiderte sie und klang verwirrt. „Ich glaube schon immer.“
Das konnte nicht sein, wie Jaye wusste. Dieser Adam hatte Minnie genauso gekidnappt wie sie. „Wir müssen zusammenarbeiten, Minnie. Ich habe hier Freunde in der Nähe. Hilf mir hier heraus, und ich verhelfe uns zur Flucht.“
„Das kann ich nicht. Er wäre sehr böse auf mich und würde Tabitha was tun. Er hat … meinen Freunden schon früher was getan.“
Jaye presste die Augen zusammen. „Du könntest heimgehen, Minnie.“ Ihre Stimme bebte, und sie bemühte sich, ruhig zu sprechen. Minnie hatte sicher mehr Vertrauen zu ihr, wenn sie selbstsicher klang. „Ich werde dafür sorgen, dass du heimgehen kannst.“
„Heim“, wiederholte sie in kaum hörbarem Flüstern. „Ich kann mich nicht an zu Hause erinnern.“
Hass flammte in Jaye auf, weil dieses Monster von einem Mann einem Kind die Familie gestohlen hatte. Das machte sie umso entschlossener, sie beide zu befreien und ihn für seine Tat büßen zu lassen.
Sie behielt ihre Überlegungen für sich, weil sie fürchtete, das verzagte Mädchen sonst in die Flucht zu schlagen. „Erzähl mir mehr von dir, Minnie. Gehst du zur Schule?“
Das tat sie nicht, aber sie konnte lesen und schreiben. Diese Frage führte zu weiteren, und nach kurzer Zeit glaubte Jaye, eine gute Vorstellung von dem Mädchen auf der anderen Seite der Tür zu haben. Die Kleine war blond, zart und ziemlich schüchtern. Sie wurde hier schon seit einiger Zeit gefangen gehalten, vielleicht seit sie fünf oder sechs war.
Jaye erzählte Minnie von ihrem Leben, von den Menschen, die ihr fehlten, und von Anna.
Minnie begann zu weinen.
„Weine nicht“, bat Jaye rasch. „Was immer ich gesagt habe, ich wollte dich nicht …“
„Es geht nicht um dich. Es … er hat mich gezwungen, es zu tun, Jaye. Er hat mich gezwungen, die Briefe zu schreiben. Und es ist meine Schuld, dass du hier bist.“
Ihre Stimme wurde schriller, und Jaye versuchte Minnie zu beruhigen. Sie wollte nicht, dass sie Adam weckte. „Wovon sprichst du, Minnie? Was für Briefe?“
„Die an deine Freundin Anna. Er hat mich gezwungen. Er hat gesagt, er würde Tabitha was tun, wenn ich nicht gehorche.“
Jaye merkte besorgt auf. „Anna? Ich verstehe nicht.“ Doch im selben Moment ging ihr ein Licht auf. Die Fanpost, die Anna von einem kleinen Mädchen bekommen hatte! Minnie! Oh lieber Gott, nein!
Ein Rascheln von der anderen Seite der Tür. Als Minnie sprach, klang es, als presse sie den Mund gegen die Katzenklappe. „Deine Anna ist in Gefahr. Er spricht die ganze Zeit von ihr. Er hat was vor. Ich habe zugehört.“ Minnie senkte die Stimme noch mehr, und Jaye presste ihr Ohr an die Tür, um sie zu verstehen. „Deshalb hat er dich geholt. Er will Anna kriegen.“
Eisige Furcht übermannte Jaye. Sie dachte an ihren Streit mit Anna, an die schrecklichen Dinge, die sie ihr gesagt hatte, und bedauerte es zutiefst.
Anna hatte völlig zu Recht all die Jahre Angst gehabt. Es war richtig gewesen, ihre wahre Identität geheim zu halten. Jaye machte sich Vorwürfe, dass sie sich nicht in Annas Lage versetzt und Verständnis gezeigt hatte.
Jetzt war sie auf seltsame Weise in Annas damalige Lage geraten.
Sie musste ihre Freundin warnen und eine Möglichkeit finden, ihr zu helfen. „Minnie“, flüsterte sie, „was hat er mit Anna vor? Du musst es mir sagen! Wir müssen sie irgendwie warnen.“
Doch als Antwort kam nur Schweigen, und Jaye erkannte enttäuscht, dass das Mädchen fortgegangen war.
31. KAPITEL
Dienstag, 23. Januar,
19 Uhr.
Anna kehrte nach einem langen, arbeitsintensiven Tag aus dem Blumenladen heim. Gewöhnlich gab es an Dienstagen nicht viel zu tun, doch heute war es anders gewesen. Wenn sie nicht gerade Aufträge angenommen hatte, war sie Dalton zur Hand gegangen, sie auszuführen. Sie hatte letzte Dekorationen angebracht und Geschenkanhänger ausgefüllt.
Als Dalton
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