Die Angstmacher
für private Krankenversicherer bereits solche Einrichtungen. Im Vergleich zu den europäischen Nachbarn ist die Bundesrepublik bei der Überwachung und Sicherung der Solvenz weit, finden die Versicherer. Die europäischen Aufseher ziehen in Erwägung, dass die Sicherungssysteme auf nationalstaatlicher Ebene tätig sind, aber den Vorschriften der Union folgen. Kommt es zu einem Crash, könnten sie sich gegenseitig stützen. Sollte es so kommen, hätte das den Vorteil, dass die Branche den Untergang eines Versicherungsgiganten wie die Allianz oder die französische AXA verkraften könnte.
Solvency II
Mit Solvency II sollen Risiken, die Versicherer eingehen, berechenbar sein. Dafür werden komplizierte Formelwerke entwickelt, die zu einem Standardmodell zusammengefasst werden. Es müssen sehr, sehr viele Details bewertet, die Auswirkungen geschäftspolitischer Entscheidungen sorgfältig abgewogen werden. Dazu gehört die Frage, ob Rückversicherungsschutz gleich Rückversicherungsschutz ist. Denn wenn sich Erstversicherer, also Unternehmen, die direkt mit Privatleuten oder Unternehmen Verträge abschließen, damit außerhalb der Europäischen Union eindecken – in der Schweiz, auf den Bermudas oder in Japan –, ist der möglicherweise nicht so sicher wie die Deckung bei einem Rückversicherer, der von der europäischen Aufsicht kontrolliert wird. Auf den Bermudas haben Investoren nach großen Naturkatastrophen wie Hurrikans Rückversicherer gegründet. Oft steigen nach großen Schadenereignissen die Preise für Rückversicherungsschutz. Daran wollen Investoren verdienen. Die Bermudas sind für sie aus steuerlichen und aufsichtsrechtlichen Gründen ein günstiger Standort, denn dort sind die Regeln nicht so streng wie in der EU. Manche der auf den Bermudas gegründeten Rückversicherer bestehen lange, andere nur kurz. Gerät ein Rückversicherer aufgrund lascher Aufsichtsregeln in eine Schieflage, kann er möglicherweise im Falle einer Katastrophe die Schäden nicht zahlen – dann bekommt der Erstversicherer nicht die vereinbarte Summe und gerät eventuell selbst in Schwierigkeiten. Ein der EU-Aufsicht unterliegender Rückversicherer ist vielleicht gerade wegen der hohen Sicherheitsanforderungen teurer als einer auf Bermuda. Der Preisvorteil wäre für den Erstversicherer dahin.
Die Versicherer dürfen aber auch ein eigenes Modell entwickeln, wenn sie der Meinung sind, dass die Standardlösung ihre besondere Situation nicht widerspiegelt. Das machen große Versicherer wie die Allianz oder Munich Re, aber auch kleine Nischenanbieter wie der auf Senioren spezialisierte Berliner Versicherer Ideal. Wofür auch immer sich die Gesellschaften entscheiden, am Ende kommen drei Zahlen heraus: das bestehende Eigenkapital, das von der Aufsicht gewünschte Eigenkapital und das mindestens erforderliche. Hat das Unternehmen zu wenig Vermögen, schreitet die Aufsicht ein. Sie kann eine andere Kapitalanlage oder schlimmstenfalls das Einstellen bestimmter Geschäftstätigkeiten verlangen.
Solvency II ist der Versuch, eine europäische Aufsichtsbehörde, also gleiche Regeln für Tausende von Versicherungsunternehmen zu etablieren – Jahre, nachdem der europäische Binnenmarkt für Versicherungsdienstleistungen scharf geschaltet worden ist. Damit sollen EU-weit einheitliche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Erste Anläufe stammen aus dem Jahr 2000. Den letztendlichen Anstoß für die Schaffung einer europäischen Aufsicht gab die große Finanzkrise, die 2008 begann. Die Europapolitiker wollen verhindern, dass im Versicherungssektor so eine Krise entsteht wie im Bankenbereich. Anders als die Banken sind die Versicherer in der Finanzkrise nicht ins Schleudern geraten. Der US-amerikanische Versicherer AIG, dervom Staat gerettet werden musste, ist über versicherungsferne Geschäfte gestolpert. Aber die Versicherer sind so eng mit den Banken verbandelt, dass ein durchschlagender Bankencrash sie mit in die Tiefe reißen würde. Die großen deutschen Lebensversicherer haben mehr als die Hälfte ihrer Kapitalanlagen in Banken investiert.
Auch früher trafen sich die Aufseher aus den europäischen Staaten regelmäßig. Sie nannten sich Cheiops, residierten zuletzt ebenfalls im Frankfurter Westtower und waren organisiert als Verein nach deutschem Recht. Cheiops war ein Sekretariat ohne eigenen Rechtsstatus, das nichts entscheiden konnte – auch wenn sich die Aufseher informell auf bestimmte Vorgehensweisen verständigten. EIOPA
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