Die Angstmacher
Folge hatte die Deregulierung auf jeden Fall: Der Wettbewerb zwischen den Anbietern hat erheblich zugenommen. Bis 1994 gab es in Deutschland, auch im Westen, sogenannte Monopolversicherer. Es ist noch keine zwei Jahrzehnte her, aber heute kaum noch vorstellbar: In den Regionen Bayern, Baden-Württemberg, Braunschweig, Hamburg, Lippe und Teilen von Hessen und Niedersachsen konnten sich Verbraucher nur bei dem jeweiligen öffentlichen Versicherer gegen Feuer versichern; in Baden-Württemberg lag auch die Elementarversicherung in der Hand der öffentlich-rechtlichen Gesellschaften. Die Elementarversicherung ist ein Zusatz zur Gebäude- und Hausratversicherung, mit dem Kunden auch Schäden aus Überschwemmungen, Erdbeben, Schneedruck, Lawinen und Starkregen decken können. Die öffentlich-rechtlichen Versicherungen treten auf unter Namen wie Versicherungskammer Bayern, Provinzial oder Sparkassenversicherung. Sie gehören Einrichtungen der öffentlichen Hand wie den Sparkassen, über die sie auch verkaufen, oder Kommunalverbünden. Sie sind nur regional tätig und achten darauf, sich nicht in die Quere zu kommen. Als Block sind sie nach der Allianz der größte Player im Markt und dieEinzigen, die es eines Tages schaffen könnten, den Giganten bei den Beitragseinnahmen einzuholen. Das ehemalige Monopol macht sich heute noch bemerkbar. In der Gebäudeversicherung sind sie in den meisten Regionen Marktführer. Sie verkaufen ihre Verträge vor allem über die Sparkassen. Deshalb haben sie einen guten Zugang zu Kunden. Und die öffentlichen Versicherer haben ehrgeizige Pläne. Sie wollen ihren Marktanteil erheblich ausbauen. Daran hindern könnte sie allerdings ihre interne Zerstrittenheit. Wie Provinzfürsten wachen die Chefs der einzelnen regionalen Gesellschaften über ihr Hoheitsgebiet.
Mit der Deregulierung scheinen die Zeiten der großen Zuwächse bei den Beitragseinnahmen vorbei zu sein. Vor der Liberalisierung konnte die Branche um bis zu 10 Prozent im Jahr wachsen, danach wurde es deutlich weniger. In der Kfz-Versicherung, für Vertreter oft der Türöffner, um weitere Policen zu verkaufen, sanken die Preise nach der Deregulierung um 20 Prozent. Aber hier zeigen sich auch die Untiefen der Deregulierung. Die Versicherer führten eine unübersichtliche Reihe von Rabatten ein, für Autofahrer mit geringer Kilometerleistung, für Garagenbesitzer, für Alleinnutzer. Die alte Faustregel, dass ein dickes Auto auch eine saftige Versicherungsprämie kostet und ein kleines eine geringe, gilt seitdem nicht mehr.
Verbraucher interessieren sich heute für das Kleingedruckte so wenig wie früher. Der Unterschied ist, dass früher zumindest jemand einen Blick auf die Rechtmäßigkeit eines Vertrags geworfen hat. Vor allem gibt es keine einheitlichen Standards mehr, Policen sind kaum zu vergleichen. Zusatzklauseln, die Leistungen unter bestimmten Bedingungen ausschließen, Zusatzleistungen und sogenannte Alleinstellungsmerkmale machen es Verbrauchern unmöglich, Tarife zu vergleichen. Einen echten Preiswettbewerb gibt es nur in der Kfz-Versicherung. Aber auch da lauern für Verbraucher böse Fallen.
4. Assekuranz in Europa
K atja Becker traute ihren Augen nicht, als sie den Brief der Debeka öffnete. Rund 30 000 Euro wollte der Krankenversicherer von der alleinerziehenden Mutter zweier Töchter. Vor Monaten hatte Katja Becker einen Autounfall. Dabei war eine Kundin der Debeka verletzt worden. 30 000 Euro kostete ihre Behandlung. Das Geld wollte die Debeka jetzt von Katja Becker. Denn bei ihrem Kfz-Haftpflichtversicherer Ineas, der für so etwas zuständig gewesen wäre, war nichts zu holen. Der war pleite. Hunderte von Kunden bekamen nach der Havarie des Versicherers die Kosten für die Instandsetzung ihres Wagens nicht erstattet, viele sollten für längst erfolgte Reparaturen aufkommen. Besonders schlimm: Der Versicherer zahlte auch nicht mehr für die Schäden, die seine Kunden Dritten zugefügt haben.
Für den Fall, dass der Haftpflichtversicherer ausfällt, gibt es den Verein Verkehrsopferhilfe. Er ist eine Einrichtung der Kfz-Versicherer und hat die Funktion eines Garantiefonds für Unfallopfer. Die Geschädigten sollen nicht auf ihrem Schaden sitzen bleiben, wenn ein Auto nicht haftpflichtversichert oder der Versicherer wie im Fall von Ineas pleite ist. Nur: Die Verkehrsopferhilfe der Versicherungswirtschaft zahlt nicht, wenn für den Schaden des Unfallopfers eine andere Instanz aufkommt, zum Beispiel eine Krankenkasse
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