Die Angstmacher
werden.
Private Krankenversicherer auf dünnem Eis
Die Versicherungswirtschaft ist in Berlin gut verdrahtet. Politiker und Manager haben eine hervorragende Arbeitsteilung, wenn es um die Privatisierung von Leistungen der Sozialsysteme geht. Politiker erklären, dass die Allgemeinheit diese Leistungen nicht mehr finanzieren kann, und die Manager sorgen dafür, dass die Versicherungswirtschaft Angebote entwickelt, mit denen die Verbraucher die entstehenden Lücken füllen können. Bei Rente und Berufsunfähigkeit klappt das wunderbar. Nur in einer Sparte versagen immer mehr Politiker der Branche die Gefolgschaft: der privaten Krankenversicherung. Ausgerechnet ein Arzt ist der profilierteste Gegner der privaten Krankenversicherer. Es ist der Sozialdemokrat Karl Lauterbach, der Bundestagsabgeordnete mit der Fliege. Er hat das Konzept der »Bürgerversicherung« erfunden, das Gegenmodell zum alten Zwei-Klassen-System in der Gesundheitsversorgung. Als er 2005 zum ersten Mal für die SPD als Bundestagskandidat antrat, ließ er in seinem Wahlkreis Köln-Mülheim Plakate mit dem Satz kleben: »Erststimme für die Bürgerversicherung«. Würde das Konzept der Bürgerversicherung eines Tages umgesetzt, wären alle in Deutschland lebenden Personen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die privateKrankenversicherung als Alternative zur Krankenkasse wäre abgeschafft, Zusatzversicherungen etwa für die Chefarztbehandlung könnte es aber weiterhin geben. Mit Unterschieden in den Details haben sich SPD, Grüne und Linkspartei Lauterbachs Idee zu eigen gemacht.
Das Eis für die privaten Krankenversicherer in Berlin wird immer dünner. Denn ihr Geschäftsmodell ist am Ende. Früher oder später werden die 48 Unternehmen im Bermuda-Dreieck zwischen Kostenexplosion, sozialpolitischen Erfordernissen und Vergreisung der Kunden untergehen. Manager an der Spitze der Gesellschaften wissen das. Der Krankenversicherer Central baut seinen eigenen Außendienst ab und bereitet sich darauf vor, dass es bald nur noch das Geschäft mit den Zusatzpolicen gibt. In den Führungsetagen vieler Unternehmen tobt ein Generationenkonflikt der eigenen Art: Die alten Haudegen wollen keinen Schritt weichen und halten starr an ihrer Vorstellung der traditionellen privaten Krankenversicherung fest. Die Jungen wissen, dass diese nicht mehr zu retten ist. Öffentlich sagen würden sie das nie. Sie wollen aus dem Modell aussteigen und hoffen, das Ende der privaten Krankenversicherer der Politik in die Schuhe schieben zu können. Ihnen kann nichts Besseres passieren, als dass eines Tages eine rot-grün geführte Bundesregierung die sogenannte Bürgerversicherung einführt. Eigentlich müssten sie den Sozialdemokraten mit der Fliege sehr mögen, und klammheimlich tun sie es wahrscheinlich auch.
Die steigenden Kosten im Gesundheitswesen werden in der Öffentlichkeit vor allem anhand der gesetzlichen Krankenkassen diskutiert. Die privaten Krankenversicherer leiden aber unter weitaus höheren Kostensteigerungen. Gleichzeitig haben sie aber weniger Möglichkeiten als die Kassen, ihre Ausgaben in den Griff zu bekommen. Was sie niedergelassenen Ärzten zahlen müssen, diktiert die Politik, die die »Gebührenordnung für Ärzte« festlegt. Hier sind kaum Einsparungen möglich. Deshalb suchen die privaten Krankenversicherer nach anderen Feldern. Zum Beispiel auf dem Gebiet der Arzneimittelversorgung.Kassenpatienten haben häufig keinen Anspruch auf teure Originalpräparate, sie müssen in vielen Fällen Nachahmerprodukte nehmen. Die Krankenkassen schließen außerdem mit einigen Herstellern Verträge ab, um Rabatte zu erhalten.
Der Pharmaindustrie gefällt so etwas gar nicht. Früher konnte sie die Preise für ihre Produkte diktieren, doch Nachahmerpräparate und Rabattverträge tun immer mehr weh. Die privaten Krankenversicherer waren lange die natürlichen Verbündeten der Pharmaindustrie. Sie zahlten die höchsten Preise für völlig überteuerte Originalarzneimittel. Aber angesichts der steigenden Ausgaben sind sie immer weniger dazu bereit. Die AXA zum Beispiel hat 2009 mit dem Generikahersteller ratiopharm eine Kooperation begonnen, im März 2011 folgten Rabattverträge mit zehn weiteren Arzneimittelherstellern. 28 Immer mehr private Krankenversicherer gehen solche Wege. Das hat Folgen. Die Unternehmen verlieren einen wichtigen politischen Verbündeten. Die Pharmaindustrie hat sich von der Assekuranz abgewendet. Ein Signal dafür ist die Berufung der damaligen
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