Die Angstmacher
Zwei Stunden schaute »Vermögensberater« Lutz sich die Versicherungsunterlagen der Schwester seines Freundes an. Er begann mit einer vertrauensbildenden Maßnahme: Eine günstigere Autoversicherung als ihre bestehende würde Frau A. nicht finden, erklärte er. Den Wagen hat sie bei CosmosDirekt versichert, dem Direktversicherer des Generali-Konzerns. Die AachenMünchener, die über die DVAG ihre Policen verkauft, gehört auch zu diesem Konzern. Ihr nicht zur Kündigung zu raten, sondern ihren Abschluss auch noch zu loben, schaffte Vertrauen. Die Freiberuflerin hatte ein richtig gutes Gefühl.
Nach dem gemeinsamen Essen war man sich schnell einig: Der Vertreter hatte die Schwester seines Freundes zum Kauf einer Unfallversicherung und einer privaten Haftpflichtversicherung für zusammen rund 40 Euro im Monat gebracht und – ein Hauptgewinn für ihn – der Rentenversicherung »Rente pur« mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung und dynamischer Beitragserhöhung. Eine echte Meisterleistung. Denn erlauben konnte sich die Enddreißigerin die Verträge eigentlich nicht. Sie hatte ihre Lebensversicherung bei der R+V gerade erst gekündigt – aus Geldnot. Allein für die neue Rentenversicherung zahlte sie 2005 rund 1650 Euro, 2008 waren es schon 2071 Euro. »Mein Bruder hat für die Abschlüsse 500 Euro von seinem Freund bekommen«, sagt sie. Sie geriet in eine berufliche Krise, sicher geglaubte Projekte zerschlugen sich. Einige Jahre nach dem Abendessen mit Lutz musste sie einen Kredit aufnehmen. An das Geld aus der Rentenversicherung kam und kommt sie nicht. Weil es sich um einen Rürup-Vertrag handelt, ist die Police nicht kündbar. Frau A. kann aufhören, Beiträge zu zahlen. Aber was sie bisher eingezahlt hat, bekommt sie erst im Rentenalter ausgezahlt. Nimmt sie die Zahlungen nicht wieder auf, wird das nur ein Kleckerbetrag sein.
Mogul Pohl sieht sich und seine Truppen nicht als schnöde Verkäufer, schon gar nicht als Drücker. Er ist der Meinung, dass »die Deutsche Vermögensberatung eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe hat, nämlich die Vermögensbildung und die private Vorsorge für das Alter voranzubringen«, wie er in einem Gespräch mit dem Journalisten Hugo Müller-Vogg erklärte. 31 Wer so viel Gutes tut, ist auch an anderer Stelle karitativ engagiert, zum Beispiel in der Gesundheitsfürsorge des Marburger Klinikums. »Früher war außerdem mein Engagement für die ZNS-Stiftung von Hannelore Kohl sehr stark. ZNS unterstützt ja Menschen mit Schädigungen des zentralen Nervensystems. Da sah ich eine gewisse Parallele zu meinem Beruf, nämlich Vorsorge gegen Unfall und Not«, stellt er seine Motive dar. 32 Die Masche funktioniert, viele nehmen ihm das ab. Als er in der Universitätsstadt Marburg vom Stadtrat zum Ehrenbürger gewählt wurde, stimmte erstaunlicherweise nicht einmal die Fraktion der Linkspartei dagegen.
Finanzvertriebe haben einen großen Verschleiß an Verkäufern. Sind Freunde und Bekannte erst einmal abgeklappert, erweist sich manche Verkaufshoffnung als untalentiert. Wer an Bord bleibt, muss immer wieder innerlich aufgerüstet werden, damit er hoch motiviert in die Verkaufsschlacht zieht. Die Finanzvertriebe unternehmen einiges, um ihre Vertreter zur Höchstform zu bringen. Hohe Provisionen und bei guten Verkaufserfolgen Geschenke wie Goldbarren oder Kleinwagen sind eine Form der Belohnung. Das allein erklärt aber den Erfolg der Vertriebe nicht. Mindestens genauso wichtig ist das Streicheln der Seele. Die strikt hierarchisierten Organisationen arbeiten perfide mit nicht materiellen Werten. Sie wissen das Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung der Vertreter zu nutzen.
Die DVAG ehrt besonders erfolgreiche Verkäufer auf großen Veranstaltungen. Dort werden sie wie Stars präsentiert, einschließlich eines Films über ihre Person. Incentives, Belohnungen, sind in der Branche weit verbreitet. Die DVAG lädt die Klassenbesten samt Anhang in eigene Feriendomizile. Der Vorteil: Der Partner identifiziert sich ebenfalls mit dem Vertrieb. Muss der Vertreter am Wochenende oder abends zu Kundenbesuchen, wird er nicht von seiner Partnerin unter Druck gesetzt. Früher konnten Spitzenkräfte mit einer ganz besonderen Ehrung rechnen: einem Abendessen mit Reinfried Pohl und seiner Frau. Sie ist mittlerweile verstorben. Bei anderen Finanzvertrieben setzten die Motivationsverantwortlichen auf andere Anreize. Berühmt geworden ist die Incentive-Reise nach Budapest für die besten
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