Die Angstmacher
Verkäufer des Finanzvertriebs Hamburg-Mannheimer International. Der Versicherer hatte die Topvertreter zu einer Sexparty eingeladen.
4. Die Verkäufer
T estosteron ist ein guter Treibstoff für die Verkäufer von Versicherungen. Auf der Bühne präsentiert sich Frank Thomsen, Vertriebschef der kleinen Itzehoher Versicherung. Neben ihm steht Michael Heinz, Chef des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute. Thomsen beginnt, einen Witz von einem Mann mit Ganzkörpersonnenbrand zu erzählen. Sein Unternehmen hat als Werbegeschenk Sonnencreme bei der Abendveranstaltung zur Jahrestagung der Versicherungskaufleute verteilen lassen. Die mehr als 250 Vermittler und ihre Frauen im Ballsaal des Dresdener Parkhotels »Weißer Hirsch« unterhalten sich weiter. »Der Mann kommt zum Arzt und muss sich ausziehen«, sagt Thomsen. Mit dem Wort »ausziehen« wird es stiller, gespannte Aufmerksamkeit richtet sich auf die Bühne. Der Mann im Witz will vom Arzt wissen, warum er Viagra verschrieben bekommt – weil so die Bettdecke von seinem verbrannten Körper weggehalten würde. Hahaha.
Ohne Schlüpfrigkeit geht es in der Branche nicht, selbst wenn die Ehefrau mit von der Partie ist. Dabei sitzt den Leuten im großen Saal des Hotels unweit der Dresdner Waldschlösschenbrücke »Budapest« mächtig in den Knochen. »Budapest«, so nennen sie den Skandal um sexuelle Dienstleistungen als Belohnung für verdiente Vertreter. Es ist Woche eins nach Bekanntwerden der Lustreise in die ungarische Hauptstadt für die Spitzenleute der Hamburg-Mannheimer International. Der Strukturvertrieb gehört zum Versicherer ERGO und ist eine der aggressivsten Drückerkolonnen der Branche. Die Details, die via Handelsblatt publik geworden sind, schockieren die Öffentlichkeit. Die Aufregung in den Medien, in Agenturen, Büros, an der Kasse im Supermarkt und in den Kneipen ist ungeheuer. Und sie ebbt nicht ab. Eine ganze Branche steht am Pranger. Dutzende von Topverkäufern haben sich auf Einladung der Hamburg-Mannheimer in den traditionsreichen Gellert-Thermen in Budapest mit 20 Prostituierten vergnügt. Bevor die Vertreter in die Therme gehen durften, mussten sie eine Sicherheitskontrolle wie am Flughafen über sich ergehen lassen. Fotos und Filme von der Veranstaltung sollten auf keinen Fall an die Öffentlichkeit kommen. Auf einer Bühne sollen ein Mann und zwei Frauen sexuelle Darbietungen gezeigt haben. »Live-Porno für Herrn Kaiser«, schreibt Stern-Online in Anspielung auf die biedere Werbefigur, die bekannt war wie keine andere und die mit der Marke Hamburg-Mannheimer verschwand. 33 Für diese Szene findet ERGO später bei einer internen Untersuchung keinen Beleg. Für andere schon. Links und rechts von den Quellen waren mit Tüchern verhängte Himmelbetten aufgebaut, vor denen sich Warteschlangen bildeten. 83 000 Euro kostete der Partyspaß. 83 000 Euro wird der Versicherer ERGO später an ein Frauenhaus spenden.
Die Jahreshauptversammlung des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute wird von dem Sexskandal überschattet. Die Mitglieder sind in den vergangenen Tagen von Freunden, Bekannten und Nachbarn auf die Party in der Therme angesprochen worden. Sie werden mit Dreck beworfen, so sehen sie es, und sie können nicht verstehen, wieso. Einmal im Jahr treffen sich die Versicherungskaufleute, für viele von ihnen ist es eine Art Familienausflug. Sie sind Vertreter für ein oder mehrere Unternehmen, oder sie sind Makler. Auf den ersten Blick gehen Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler der gleichen Tätigkeit nach. Sie vermitteln Policen und bekommen Provisionen vom Versicherer dafür, in der Regel sind beide Gruppen selbstständig. Tatsächlich aber ist ihr Berufsbild unterschiedlich, theoretisch zumindest. Der Vertreter arbeitet im Auftrag und im Interesse eines oder mehrerer Unternehmen, er muss für seine Kunden nicht das beste Angebot suchen. Der Versicherungsmakler hat dagegen die Pflicht, für den Kunden den besten Vertrag zu finden.
Ob Vertreter oder Makler – auf jeden Fall halten sich die Verkäufer im Weißen Hirschen für etwas Besseres als die »Strukkis«, die Verkäufer von der Hamburg-Mannheimer International oder ähnlichen Strukturvertrieben, die heute alle keine mehr sein wollen – das haben AWD, Bonnfinanz, OVB und wie sie alle heißen gemeinsam. Bei Strukturvertrieben werden Verkäufer nicht nur angehalten, neue Kunden zu finden, sondern auch weitere Mitarbeiter zu gewinnen. Diese Finanzvertriebe sind
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