Die Angstmacher
beeindruckt.
Der Gestank aus Budapest
Beim Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute fühlt man sich als etwas Besseres. Verbandschef Michael Heinz empfindet es als Herabsetzung, wenn er oder einer seiner Leute als Verkäufer bezeichnet werden. Er sieht sich als »Partner« der Versicherer. Dass die »Strukkis« so etwas wie »Budapest« machen – und wenn schon. Aber sie? Die Seriösen? Nein. Doch für den Hochmut, den Michael Heinz und seine Kollegen pflegen, gibt es keinen Grund. In freier Wildbahn geht es auch bei ihnen zu allererst ums Verkaufen. Auch sie pflegen Gruppengefühl und Gemeinschaft. Der Abend im Weißen Hirsch ist so etwas wie der biedere Gegenentwurf zu »Budapest«. Ein Kessel Buntes mit der braven Sabrina und ihrem Partner Blubb, Seifenblasenkünstler und Stimmenimitator. Später schwingen die fein gemachten Damen und Herren das Tanzbein zu »Wann wird’s mal wieder richtig Sommer«. Hier ist so mancher, bei dem Incentive-Reise noch Wandertag heißt – und ist. Jetzt hängt der Gestank aus »Budapest« an allen. Sie reißen eine Zote nach der anderen und verstehen einfach nicht, was »Budapest« mit ihnen zu tun hat.
Weniger als zwölf Stunden nach dem Fest im Weißen Hirsch sitzt Verbandschef Michael Heinz im Hotel Hilton an der Dresdener Frauenkirche vor Journalisten und redet sich in Rage. Er ist erbost über die ignoranten Lokalpolitiker, die niemanden für ein Grußwort geschickt haben – obwohl der Berufsstand so eine große sozialpolitische Bedeutung habe. Doch bei Dresdener Lokalpolitikern stehen Versicherungsleute im Moment nicht hoch im Kurs. Wer wollte es ihnen verdenken, eine Woche nach »Budapest«? Ganz Deutschland wartet in diesen Tagen darauf, dass weitere Sexskandale von anderen Versicherern öffentlich werden. Kaum einer glaubt, dass »Budapest« einmalig war. Vielleicht in den Details, aber nicht im Prinzip. Die Verkaufstruppen, ihre Angehörigen, ja nahezu alle irgendwie in der Branche Beschäftigten sind in den Wochen nach Bekanntwerden von »Budapest« Hohn und Spott ausgesetzt. »Meine Frau wird in der Nachbarschaft angegangen, wo denn ihr Mann arbeitet«, berichtet der Vertriebschef eines großen Versicherers, der nicht genannt werden will. »Man kann sich gar nicht vorstellen, was die sich alles anhören muss.«
Von der Allianz über die Finanzvertriebe MLP und OVB bis zur SIGNAL IDUNA stellen die ERGO-Konkurrenten klar, dass es so etwas wie »Budapest« bei ihnen nicht gibt. Auf Nachfrage von Journalisten. In der Branche selbst herrscht Korpsgeist. Die Managerkollegen anderer Häuser greifen ERGO nicht an, sie lassen sich die Gelegenheit entgehen, es dem Wettbewerber richtig zu geben. Im Frühjahr haben viele Versicherer ihre Bilanzpressekonferenz, mit Begeisterung würden sich die Journalisten auf kritische Worte zu den Geschehnissen im Haus ERGO stürzen. Nur ein alter Haudegen der Branche poltert – oder tut zumindest so. Reinhard Schulte, Chef des Versicherers SIGNAL IDUNA, will ERGO zur Ordnung rufen lassen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft soll sich von dem Unternehmen distanzieren, fordert er bei der Bilanzpressekonferenzseines Unternehmens. Schulte ist Vorsitzender des Verbands der privaten Krankenversicherung. Außerdem sitzt er im Präsidium des GDV – zusammen mit ERGO-Chef Torsten Oletzky und dem Munich-Re-Chef Nikolaus von Bomhard. Die Munich Re ist die Muttergesellschaft von ERGO. Schultes Worte machen Schlagzeilen. »GDV soll sich von ERGO distanzieren«, schreibt die Financial Times Deutschland , »SIGNAL-IDUNA-Chef kritisiert ERGO«, das Handelsblatt . Kaum sind diese Sätze erschienen, ruft Reinhold Schulte den Kollegen in Düsseldorf an, berichtet Oletzky. Er erklärt Oletzky, er selbst habe das Thema nicht angeschnitten, er habe nur auf Fragen geantwortet. Das stimmt. Oletzky empfindet das als Entschuldigung. »Er wollte sich mit mir aussprechen«, sagt Oletzky.
Für die eigenen riesigen Vertriebsorganisationen, deren Truppen aufgepumpt mit Testosteron in den Kampf um den schnellen Abschluss ziehen, kann kein Vorstandsvorsitzender die Hand ins Feuer legen. Welcher Vorstandschef weiß schon genau, mit welchen Methoden die Vertriebschefs ihre Verkäufer motivieren. Und was wissen die Vertriebsvorstände über die Motivationstechniken ihrer Leute? So genau werden sie es gar nicht wissen wollen. Sexuelle Reize sind jedenfalls fester Bestandteil der Vertriebskultur in der Branche, das ist auf Messen und
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