Die Angstmacher
auf mich eingeredet«, berichtet die Seniorin. »Sie sagten, ich hätte viel bessere Chancen auf einen Platz im Altenheim, wenn ich eine Pflegezusatzversicherung haben würde.« Irgendwann fand die neunundsiebzigjährige dieses Argument überzeugend. Im Glauben, eine Pflegezusatzversicherung abzuschließen, unterschrieb sie. Das böse Erwachen kam mit dem ersten Beitragsschreiben des Versicherers. Der wollte 349,47 Euro. Im Monat. Die Vertreter hatten der älteren Dame eine Unfallversicherung mit Beitragsrückerstattung angedreht. Der Vertrag war auf eine Laufzeit von zwölf Jahren angelegt. Danach sollte die Seniorin Beiträge zurückerstattet bekommen – bis zu ihrem 95. Lebensjahr. Elfriede Ulrich war schockiert über die hohe Summe, die sie zahlen sollte. Sie wollte den Vertrag bei den Vertretern rückgängig machen. »Aber von denen hat sich keiner mehr blicken lassen«, sagt sie. Die Seniorin hatte schlaflose Nächte, immer wieder fragte sie sich, wie ihr das hatte passieren können. Schließlich vertraute sie sich einem Bekannten an, der sich an den Bund der Versicherten wandte. Die Verbraucherorganisation setzte durch, dass der Versicherer den Vertrag auflöste. Elfriede Ulrich bekam die Beiträge, die sie über ein Vierteljahr gezahlt hatte, zurück. Die wenigsten, die von Vermittlern übers Ohr gehauen werden, gehen so vor. Die Menschen schämen sich und zahlen lieber, als sich als Opfer zu outen. ERGO bestreitet den Ablauf. Die Dame habe gewusst, was sie abgeschlossen habe, und es sich später anders überlegt, heißt es.
Nicht alle potenziellen Kunden lassen sich einfach anhauen. Ein Werbespot der Verkaufsorganisation AWD zeigt auf frappierende Weise, wie auch Skeptiker eingefangen werden. An einem Esstisch in einem gutbürgerlichen modernen Haushalt nehmen zwei Männer und eine Frau Platz. Der eine Mann überreicht dem anderen ein paar Unterlagen und sagt: »Denn mal los.« Die Frau lächelt ihr Gegenüber an. Der Mann legt auch direkt los. »AWD findet durch persönliche Analysen eine günstigere Kfz-Versicherung. Bringt 220 Euro mehr netto.« Die Frau nimmtunter dem Tisch mit ihrem Fuß Kontakt zu ihm auf. »Die Optimierung der Geldanlagen bringt jährlich 3 Prozent Rendite. Plus Bankwechsel und private Altersvorsorge ergibt das einen Vorteil von 4900 Euro. Netto«, sagt er und unterstreicht auf einem Blatt Papier den Satz »AWD-Vorteil: 4900 Euro«. Die Frau erhebt sich und küsst ihn. Der andere Mann greift zu seiner Aktentasche und sagt: »Herr und Frau Meier, Sie haben alle unsere AWD-Vorteile verstanden.« Die Szene verschwimmt, und eine Stimme aus dem Off sagt: »Unsere AWD-Finanzberater finden für Sie mehr netto, denn sie durchleuchten ganzheitlich alle Ihre Verträge.« 5000 Euro mehr netto im Schnitt in fünf Jahren verspricht die Stimme.
Der Spot ist ein Lehrbeispiel für die Verkaufstechniken der Versicherungsverkäufer. Kluge Kunden, und das sind nicht wenige, lassen sich nicht aggressiv unter Druck setzen. Sie muss man subtil manipulieren. Eine der effektivsten Verkaufstechniken ist, im Kunden den Eindruck entstehen zu lassen, er selbst habe erkannt, welche »Versorgungslücke« er hat und welche Lösung es dafür gibt. Sich selbst glaubt der Kunde viel mehr, als er einem Vertreter je glauben könnte.
Verkaufstechniken
Es ist eine Branche für sich: Coaches, Trainer und selbst ernannte Vertriebsstars bieten Verkäufern von Versicherungen Coachings, Emotions- und Rhetorikseminare oder Intensive Insurance Trainings an. Die Teilnehmer werden geschult in Argumentations- und Überzeugungstechnik, in Rhetorik und professioneller Gesprächsführung. In den Seminarräumen guter Hotels oder zweitklassiger Tagungsorte geht es um den »Aufbau von Vertrauen«, die »Einwandbehandlung« und das »Wecken von Vertrauen«. Mit Edding gemalte Grafiken auf Flipcharts und Rollenspiele sollen den Verkäufern klarmachen, worauf es ankommt: Vertrauen zu gewinnen. Vertreter zahlen viel Geld fürSchulungen, in denen sie zweifelhafte Verkaufstechniken lernen. Menschen sind manipulierbar. Aber wer ernsthaft glaubt, er könne an einem Wochenende diese Fähigkeit erwerben, muss eben Lehrgeld zahlen. Bei vielen angebotenen Verkaufsseminaren ist der Teilnehmer ein Opfer. Ihm wird viel Geld abgeknöpft für Verkaufstechniken, die im wirklichen Leben nicht funktionieren. Denn so dumm, wie die selbst ernannten Verkaufsgurus glauben machen wollen, sind die Verbraucher denn doch nicht. »Mit dem richtigen Drehbuch
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