Die Angune (German Edition)
Geröllbänke die Bäume weit vom Wasser weg. Aber stets blieb die Gestalt sichtbar, die tief unten im Tal ihres Weges zog. Ihr flammend rotes Haar machte eine Verwechselung unmöglich: es war Tazh'eel, die Angune!
Nachdem der Rotfußrabe ihr Meldung erstattet hatte, dass Tazh'eel erschienen war, hatte sie den Vogel zurückgeschickt, um der Angune zu folgen. Der Rabe hatte beobachtet wie sie von einer unvorsichtigen Steinmade überfallen worden war. Nur ein Unterirdischer konnte so töricht sein, sich mit einer Daimonia anzulegen, und er hatte seine Dummheit mit dem Leben bezahlt. Danach hatte sie sich - aus welchem Grund auch immer - noch ein paar Tage bei den Unterirdischen aufgehalten. Seitdem war sie auf dem Weg durch die Berge. Endlich kam sie nach Rinu'usala!
Die alte Maga atmete kurz durch und verfolgte die weiteren Aufzeichnungen ganz genau. Sie sah sich den Schluss jetzt schon zum dritten Mal an. Der Rotfußrabe hatte sich wie immer alles sorgsam gemerkt, aber irgendein Detail musste er übersehen haben!
Der Wettersturz in den Bergen begann und Tazh'eel war offenbar nicht die einzige die das heraufziehende Unwetter nervös gemacht hatte. Der Blick des Raben, der die Angune nicht aus den Augen ließ, wurde zunehmend unruhiger und begann immer öfter die Umgebung nach einem sicheren Sitzplatz abzusuchen. Blitze erhellten sekundenlang die immer dunkler werdende Umgebung und die Angune hastete am Berghang entlang auf der Suche nach einem Unterschlupf. Sie schien ihre Aufmerksamkeit auf einen großen, grauen Felsen zurichten, zu dem sie hinauf kletterte und kurz darauf darunter verschwand.
Und dann kam der Platzregen und zwang den Raben sich in eine Tanne zu verkriechen. Lange Zeit geschah nichts mehr. Der Rabe nutzte die Gelegenheit um sein Gefieder zu säubern. Manchmal erhellten grelle Blitze die Umrisse des Geästs. Und dann auf einmal begann die Tanne zu zittern. Sie schüttelte ihre Zweige und der Rabe stürzte sich fluchtartig hinaus und flog weg. In einiger Entfernung landete er in einer anderen Tanne und kletterte wieder in deren schützendes Geäst.
Und dann kam die Nacht, der Rabe stecke seinen Schnabel ins Gefieder und die Aufzeichnung brach ab.
Kurz darauf setzte die Aufzeichnung wieder ein. Das Unwetter war vorüber und der Rabe kletterte aus seinem Nachtlager hinaus. Der größte Teil des sternenklaren Himmels trug noch sein schwarzes, nächtliches Gewand, aber am Horizont stiegen schon die orangen und gelben Vorboten der Morgendämmerung herauf. Bald würde Aurora ihren Aufstieg beginnen.
Die blinzelnden Augen des Raben schweiften unablässig bis zum Ende der Dämmerung über die Landschaft . Er suchte mit Ausdauer die Steinplatte, unter der die Angune Schutz vor dem Wettersturz gesucht hatte. Aber die Platte gab es nicht mehr.
Der Felsen war weg! Vom Boden verschlungen - im wahrsten Sinne des Wortes!
Dort wo vorher noch ein Berghang voller Sträucher, Moose und Flechten gewesen war, klaffte jetzt nur noch das einheitl iche Braun des Bodens. Oben am Hang hatte die Regenflut einen Erdrutsch ausgelöst, der über den Felsen hinweg geglitten war.
Die Maga brach die Darstellung der Erinnerungen des Ro tfußraben ab. Sie hatte seine Erinnerungen jetzt zum dritten Mal abgerufen, in der Hoffnung, dass das Tier etwas vergessen hatte. Aber sie hatte in den Aufzeichnungen kein vergessenes Detail erkennen können.
Die Maga ließ den Blick sinken und schüttelte enttäuscht und rätselratend den Kopf. Sollte Tazh'eel tatsächlich verschüttet worden sein?
Das war unmöglich!
Das war irreal!
Daimones waren unsterblich! Sie waren Abgesandte der Götter! Wieso sollte die Angune hier und jetzt von einem Erdrutsch begraben worden sein?
Nur die wenigsten Personen auf Ersoh hatten die Angune je zu Gesicht bekommen. Für die meisten war diese Lichtg estalt bloß ein Ammenmärchen, eine liebenswerte und wunderschöne Frau, deren Geschichten gerne von den Müttern erzählt wurden, um ihre Kinder beim zu Bett gehen zu entspannen und ihnen die Angst vor dem Alleinsein in der nächtlichen Schlafkammer zunehmen. Doch die Maga wusste, dass Tazh'eel kein Ammenmärchen war! Es gab die Angune wirklich!
Das hatte die kleine Dran'ja Do'ul Corón schon lernen müssen, als sie noch vor vielen, vielen Sonnenumläufen als junge Famula bei einer Maga angestellt war , um deren Behälter und Flaschen zu waschen und einzuräumen. Das war zu einer Zeit gewesen, wo noch jeder schnelle Blick in die Grimoire der Maga mit
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