Die Angune (German Edition)
war entsetzlich.
›Großmeister, was befehlt ihr?‹, erklang es in Teldarmals Kopf.
Der Hochschamane schaute zu seinen Drachenreitern hoch. Sie hatten ihre geordnete Formation aufgelöst und warteten auf einen Befehl ihres Meisters, während sie versuchten ihre unruhigen Drachen mit nervösen Flugmanövern unter Kontrolle zu halten.
Es war die gleiche Unruhe die Teldarmals eigenes Tier e rfasst hatte. Es stand auf seinen mächtigen Hinterbeinen und schlug mit den Flügeln hin und her, so wie ein Jungtier das im Nest für seinen ersten Flug trainiert. Und immer wieder schnarrte der Drache kurz, gefolgt von kleinen Verpuffungen die aus seinem Maul schossen.
Ganbold Gan'ka Zehnender stand 30 Schritte vom Grauelb entfernt und konnte nicht fassen was er sah. Überall rannten Óroks orientierungslos herum. Sie alle wurden von dem Wunsch beseelt, sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen, aber keiner wusste so recht wo er einen sicheren Platz finden konnte. Die Drachenfurcht hatte sie erfasst und war in eine kollektive Massenpanik ausgeartet.
Überall wo Zehnender hinschaute, sah er verzweifelte Krieger kreuz und quer durcheinander laufen. Sie rannten ineinander, rempelten sich gegenseitig um, fielen zu Boden, sprangen wieder auf und rannten weiter. Die einen brüllten vor Wut, die anderen quickten vor Angst.
Zehnenders Heer war dabei sich aufzulösen! Denn ihm war ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen!
Das wurde dem einäugigen Meneliden schlagartig bewusst!
Während er mit dem Grauelb verhandelte, hatten immer mehr Krieger ihre Stellungen verlassen und standen unbeso nnen und planlos als Zuschauer herum, angetrieben von der Neugierde zu erfahren wie die Verhandlungen liefen. Als Zehnender - überzeugt vom Wert seiner Geisel, und den sicheren Sieg schon vor Augen - zum Anführer der Drachenreiter hinüber geritten war, hatte er es unterlassen, einem Vertreter die Befehlsgewalt über das Heer zu überlassen!
Ein folgenreicher Fehler, wie er jetzt erkannte!
Und ein Fehler den die Drachenreiter offensichtlich erkannt hatten und erbarmungslos ausnutzten. Während der Großteil der Drachenreiter hoch im Himmel Warteschleifen drehten, um ihn abzulenken, hatte einer von ihnen sich herangeschlichen und im Tiefflug sein Lager angegriffen.
»Aaahh!«
Der Arkan des Krieges brüllte seine Zorn gen Himmel. Was in ihm vorging, war eine Mischung aus riesiger Enttäuschung und grenzenloser Wut.
Enttäuschung darüber, dass er dabei war, eine sicher g ewonnene Schlacht doch noch zu verlieren.
Und Wut darüber, dass es seine eigene Dummheit und Achtlosigkeit war, die dem Gegner jetzt den Sieg zuspielte.
Er hatte als Heerführer versagt und war dem Anführer der Drachenreiter wie ein blutiger Anfänger auf den Leim gegangen!
›Der Drachenreiter, dieser Hund!‹, schoss es Zehnender durch den Kopf. ›Wo ist der verdammte Schamane!‹
Aber als Zehnender den Blick des Grauelbs kreuzte, blickte er nur in die Augen eines verwirrten und ratlosen Mannes.
›Großmeister?‹
Noch immer hatten die wartenden Drachenreiter keine Antwort, keinen Befehl, von ihrem Meister erhalten. Der Hochschamane schaute in den Himmel und sah die hin und her fliegenden Drachen. Dann schaute er nach links zum Meneliden. Der Anführer des feindlichen Heeres starrte ihn voller Zorn und Hass an. Zu seiner Rechten sah er sein eigenes, aufgeregtes Flugtier. Und weiter weg hörte er das Quieken der verwundeten Óroks. Er sah und hörte vieles, aber er erkannte nichts. Besonders nicht die missliche Lage des Meneliden.
Vor ein paar Minuten hatte er sein Wort gegeben. Er hatte die Forderung des Meneliden förmlich angenommen, und seinen Rückzug aus der menelidischen Tundra bestätigt! Der Preis für diese Abmachung war das Leben seiner Tochter g ewesen.
Und jetzt?
Er konnte sein Wort doch nicht schon fünf Minuten später wieder brechen!
»Vater!«
Von irgendwo hörte er seine Tochter rufen.
Von der anderen Seite brüllte die schrille, hasserfüllte Stimme des Meneliden:
»Verdammte Bergziege!«
Dann legte sich plötzlich ein dunkler Schatten über den Hochschamanen. Sein Drache war mit donnernden Schritten zu ihm hin gestampft, hielt die Flügel schützend über seinen Reiter und schrie dem heranstürmende n Meneliden seine Wut entgegen. Das schrille Zirpen war bei weitem nicht so schmerzhaft wie vorhin. Trotzdem stoppte der Menelide abrupt, als er in die wabernde Luft des aufgerissenen, glühendheißen Drachenmauls schaute, und
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