Die Angune (German Edition)
konnten.
Kanzleischreiber verfassten Sitzungsprotokolle und schrieben Gerichtsurteile, erstellten schriftliche Mandate und fälschten gelegentlich auch Geschäftsurkunden.
Hilfsschreiber und Lehrlinge kopierten alte Schriftrollen oder Bücher, deren Inhalt ein Opfer des Verfalls zu werden drohte.
Und Wissenschaftler und Gelehrte, wie Calaele'en, verewigten auf eigenen Schreibpulten in abgeschlossenen Räumen ihre Erkenntnisse und Hypothesen auf Pergament.
Doch die Liberey, der große Saal der Bücher, beherbergte nicht nur Bücher und Dokumente die im Erdgeschoß verfasst und hergestellt wurden. Alte und herrenlose Herrscherrollen und Klosterurkunden wurden gerne in der Liberey aufg enommen wenn ein Herrschergeschlecht ausstarb, oder wenn ein Kloster aufgelöst wurde, und sich niemand für das geschriebene Wort interessierte.
Es war eine Unmenge an Geschriebenem vorhanden. Ta usende und aber Tausende von Schriftrollen und Büchern lagen hier. Manche bestanden nur aus einer Handvoll Blätter die von einer Schnur zusammen gehalten wurden. Andere waren dicker als die Hand einer Hebamme lang war, und in teuerstes Hirschleder gebunden. Manche Folia waren riesig, andere passten problemlos in eine Hosentasche.
Doch nirgendwo ließen sich Rückschlüsse über die Exi stenz der Angune ziehen!
Hinweise fand man in Büchern die von Fabelwesen beric hteten, oder in Märchengeschichten. Mancher Schreiber versuchte ihre Existenz mit einer Zeichnung zu belegen die offenbar seinem Geiste entsprungen war und gänzlich im Gegensatz zu den Aussagen anderer Schreiber stand.
Aber einen ernstzunehmenden Hinweis, der den von Wi ssen angetriebenen Geist von Calaele'en angeregt hätte, fand er nicht.
Die Angune der alten Maga Dran'ja Do'ul Corón blieb ein Hirngespinst, und das Flämmchen Hoffnung in Calaele'en erlosch endgültig in der Liberey.
Calaele'en saß gedankenverloren am Fenster, als er hinter sich leise schlürfende Schritte vernahm. Als er sich umdrehte, stand ein Wesen hinter ihm das er gut kannte: der Gnom Rkhi.
Der große Saal der Bücher im Zentrum der Versammlung wurde von zwei Küstern geleitet. Während Hunderten von Sonnenumläufen gab es nur Rollenküster die über die Schrif trollen wachten. In jenen längst vergangenen Zeiten wurden Protokolle und Urkunden ausschließlich in Form von Schriftrollen verwendet. Doch der technische Fortschritt war nicht aufzuhalten, und bald wurden die Schriftrollen nach und nach durch die sogenannten Kodizes verdrängt, jene gebundene Blöcke von Pergamentbögen die zur Buchform führten. Gegenüber der Schriftrolle boten Kodizes und Bücher die Möglichkeit, an genau der Stelle aufzuschlagen die man gerade brauchte, ohne eine lange Rolle auf- oder durchrollen zu müssen. Diese neue Lesemethode wurde besonders von den Gelehrten sehr geschätzt. Und so entstand neben dem Rollenküster auch noch der Buchküster in den Libereyen.
Doch zwei Küster konnten die gewaltige Menge an Rollen, Kodizes und Büchern der Liberey nicht verwalten. Jeder der beiden Küster hatte mehrere Helfer, die sogenannten Saaldi ener. Und für diese Arbeit eignete sich niemand besser als die mimosenhaften Gnome. Die kleinen grauen Helfer waren intelligent und schweigsam, zwei Eigenschaften die sie zur Arbeit in den Libereyen geradezu prädestinierte. Auch drohte den sehr sensiblen Gnomen keine Gefahr in der beschaulichen und besinnlichen Atmosphäre der Libereyen.
»Rkhi, mein Freund!«, begrüßte der Weißelf den kleinen Gnom. »Es freut mich, dich zu sehen. Wie geht es dir?«
Die kleine Person mit den silbrig schimmernden Augen trug die Kleidung eines Saaldieners, die aus einer bodenlangen, kurzärmeligen Tunika bestand, die durch einen Strick gehalten wurde. Wegen der manchmal sehr staubigen Umgebung, war die Tunika dann auch in einem graubraunen Farbton gehalten.
Auf seine Frage antwortete der Gnom mit einem bedächt igen Kopfnicken. Dann zeigte er mit dem Finger auf Calaele'en, ...
»Duuhhh ...«
... legte die Fäuste auf seine Schläfe und schaute zu Boden, ...
».... bätrüüübt ...«
... und zeigte mit dem Finger auf sein Auge.
».... ausssää-hhennn!«
Dass der Gnom mit dem Meister der Schriften zu reden versuchte, war ungewöhnlich, denn die Stimmerzeugung der jüngeren Rassen, wie den hochgewachsenen Elfenvölker oder den kleineren Zwergenrassen, war den Gnomen fremd. Dieses uralte Volk, das zum Anbeginn der Zeit von den Götter aus Granit geschlagen worden war, unterhielt sich mit
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