Die Ankunft
Körper, Wolfs-Sehkraft und -Instinkte, doch alle drei knapp unter der Oberfläche miteinander vermischt – näherte ich mich Dalton. Sanft legte ich ihm die Hand aufs Kreuz und konnte sein weiches Fell unter meinen Fingern spüren.
Sein Kopf fuhr herum, und er blickte auf mich herab. Er schürzte seine Wolfslippen, um mich anzuknurren und mit seinen spitzen Zähnen zu fletschen. Ich lächelte ihn an, und sein Gesicht nahm einen entspannteren Ausdruck an. Er nickte mir zu und schaute dann wieder durch das Fenster. Erneut kratzte er an die Scheibe und dann noch einmal. Am Fenster konnte man die Kratzspuren erkennen, die seine Nägel hinterlassen hatten.
Ich folgte seinem Blick und schreckte auf, als ich sah, was sich darin befand. Das Zimmer selbst sah freundlich aus, mit gelb gestrichenen Wänden. In einer Ecke standen Topfpflanzen. Doch natürlich war Dalton nicht an der Einrichtung interessiert. Sein Blick war, ebenso wie meiner, auf den Werwolf gerichtet, der direkt gegenüber dem Fenster auf dem Bett lag.
» Das ist sie«, flüsterte ich. » Wir haben sie gefunden.«
Dalton stieß ein tiefes, bejahendes Heulen aus: Er war von dem Geruch des weiblichen Werwolfs abgelenkt worden.
Sie lag mit seltsam ausgestreckten Beinen auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf. Ich fragte mich, wie sie es als Wölfin in solch einer Stellung überhaupt aushalten konnte, mit dem Schwanz unter dem Körper, doch da entdeckte ich die Ketten. Bevor sie sich verwandelt hatte, musste sich das Mädchen selbst gefesselt haben, denn ihre Hand-und Fußgelenke lagen in Ketten, die an den Bettpfosten befestigt waren. Sie wand und warf sich hin und her, während ihr bei dem frustrierten Jaulen, das sie ausstieß, die Kiefer auf-und zuklappten.
Mir wurde bewusst, dass sie die ganzen eineinhalb Wochen über völlig alleine gewesen war. Sie hatte sich ebenso wie Spencer und ich verwandelt, allerdings ohne das Glück zu haben, auf jemanden von uns zu stoßen und bei dem, was mit ihr geschah, Unterstützung zu erfahren. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, keine meiner Persönlichkeiten wusste es, und so stand ich nur stumm da und gaffte.
Bis ich den Schattenmann sah.
Er befand sich in geduckter Haltung in einer Ecke neben der Zimmertür des Mädchens und sah ihr dabei zu, wie sie sich wand. Schließlich regte er sich und drehte sich um, sodass er nun direkt Dalton und mich ansah.
Mein Puls begann zu rasen. Mein Tagsüber-Ich empfand den Schattenmann schon als beängstigend genug, und mein Nächtliches Ich war einfach nur entnervt, doch als Werwölfin empfand ich eine tief gehende Urangst. Ich konnte dieser Angst nicht Herr werden. Zitternd wich ich zurück.
Dalton heulte. Er kratzte inzwischen mit beiden Händen an die Scheibe und scharrte wie ein Hund, der darum bettelte, hereingelassen zu werden. Aus seiner Kehle drang ein tiefes Knurren, und er fletschte die Zähne. Wie in menschlicher Gestalt auf dem Dach von BioZenith waren seine jetzt gelben Augen weit aufgerissen und hatten einen besessenen Ausdruck.
» Dalton, wir müssen weg«, sagte ich zu ihm. » Der Schattenmann wird ihr nichts tun. Es gibt nichts, was du machen könntest. Lass uns verschwinden!«
Wolfs-Dalton ignorierte mich. Und mir wurde klar: Seine Augen ruhten nicht auf dem Schattenmann, falls er die Gestalt überhaupt registriert hatte. Sie konzentrierten sich auf das Wolfsmädchen, das hilflos an ihr Bett gefesselt war. Er heulte noch einmal frustriert gen Nachthimmel. Dann senkte er den Kopf und stieß mit der Stirn gegen das Fenster. Das Glas gab nach, und das Fenster wurde von Sprüngen überzogen.
Was da gerade vor sich ging, war mir zutiefst zuwider. Ich unterdrückte meine Wolfsregungen und die dazugehörige Angst und machte einen Satz nach vorn. Ich packte Dalton am Bizeps und riss uns mit der Kraft der Nächtlichen Emily zurück.
Er drehte sich um und schnappte nach mir. Er holte mit dem anderen Arm aus, und ich sprang zurück, wobei seine scharfen Krallen nur knapp meine Brust verfehlten.
» Ist das dein Ernst?«, bellte ich.
Er versuchte, sich von mir abzuwenden und damit fortzufahren, die Fensterscheibe des Werwolfmädchens einzuschlagen, um hineinzugelangen und weiß Gott was anzustellen.
Ich holte aus und verpasste Dalton einen Schlag auf seine behaarte Brust, was ihn ein paar Schritte nach hinten warf.
» Du hörst jetzt auf damit«, befahl ich. » Du steckst noch immer da drinnen, Dalton. Du kannst nicht so tun, als wäre es nicht so. Übernimm
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