Die Ankunft
mir und den Bäumen standen. Falls jene Nacht in meinem Zimmer als Reverenz diente, hatte ich das Hindurchgehen auch unverletzt überstanden. Es war vielleicht etwas fröstelig gewesen.
In meinem Hinterkopf ertönte das herausfordernde Lachen der Nächtlichen Emily. Ich senkte den Kopf und machte mich daran, durch den Schattenmann hindurchzuspringen. Und prallte gegen einen festen, eisigen Körper. Fassungslos wich ich zurück, und Dalton kam im Dreck neben mir rutschend zum Stehen. Der Schattenmann, mit dem ich es hatte aufnehmen wollen, war alles andere als körperlos. Er war körperlich absolut präsent. Was unmöglich war, weil es sich bei ihm lediglich um eine hauchzarte, dunstige Gestalt handelte! Ich konnte durch ihn hindurchsehen! Meine Hand war durch ihn hindurchgegangen, als ich in meiner menschlichen Gestalt gewesen war!
Der Schattenmann neigte nur den Kopf zur Seite und hob eine Hand hoch, als ob er mir über die Wange streicheln wollte.
Die Nächtliche Emily hatte keine Kontrolle mehr über mich. Die Wölfin übernahm wieder das Kommando. Absolut panisch heulte ich den Nachthimmel an und raste los, dass mir die Schuhe gegen die Brust schlugen. Ich schoss um die Schatten herum, die versuchten, mich mit ihren gefrorenen Fingern zu berühren. Meinem Wolfs-Ich war es dabei völlig egal, ob Dalton mir folgte oder nicht. Ich steuerte auf den Wald zu und hörte, wie Dalton mir auf den Fersen blieb. Ich rannte, während die Welt zu einem Nebelschleier verkam, der mich umhüllte, und blieb erst stehen, als ich es bis in den hinteren Garten meines Hauses geschafft hatte, wo ich neben dem Schuppen im Gras zusammensackte.
Dalton war auch da, völlig ausgelaugt und außerstande, es noch bis zu sich nach Hause zu schaffen.
Vage spürte ich, wie uns jemand beobachtete. Vielleicht ein weiterer Schattenmann. Stets diese Schattenmänner. Ich winselte und rollte mich wie ein Fötus zusammen. Dann schlief ich irgendwie ein.
20
Du bist kein Mörder
Ich hatte eine undeutliche Erinnerung daran, dass ich mich mitten in der Nacht wieder in einen Menschen zurückverwandelt hatte. Daran, dass ich Dalton in die Scheune gescheucht hatte und wir beide uns benommen wieder unsere Kleidungsstücke angezogen hatten. Mittendrin war es mir wie ein Traum vorgekommen, doch angesichts der Tatsache, dass wir beide am nächsten Morgen in zerknitterten, vollgesabberten Kleidern hinter der Schuppentür aufwachten, musste irgendetwas in der Richtung geschehen sein. Das Erste, woran ich mich nach der Nacht bei BioZenith erinnerte, war das Erwachen im grauen Morgenlicht und die frische, feuchte Luft auf meiner Haut. Ich riss die Augen auf und sah die Sperrholzwände um mich herum, die Werkzeuge, die über mir an Nägeln hingen, und ich dachte: Wow, ein Déjà-vu-Erlebnis. Nur, dass ich diesmal nicht nackt war und Splitter im Rücken hatte. Und dass ich diesmal nicht alleine war. Als mir das klar wurde, setzte ich mich mit einem Ruck auf. Daltons verschwommene Gestalt hockte mir gegenüber, mit angezogenen Knien, an die Wand gelehnt. Er wiegte sich vor und zurück und zitterte vor Kälte. Ich zog die Brille aus meiner Hosentasche, setzte sie auf und konnte ihn klar erkennen. Seine Hose und Jacke hatten Risse, doch konnte er sie noch tragen. Sein Kinn war mit rostrotem Blut überzogen.
Er warf mir einen Blick zu, als ich mich aufsetzte. In seinem Blick lag etwas Gequältes. Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch brachte er nur ein heiseres Krächzen heraus.
» Bleib still sitzen«, flüsterte ich. » Es ist alles in Ordnung. Bleib einfach still sitzen.« Ächzend erhob ich mich. Mein ganzer Körper tat weh, entweder weil ich die ganze Nacht auf dem harten, staubigen Boden geschlafen hatte oder wegen der vorzeitigen, erzwungenen Verwandlung in einen Werwolf oder wegen des Streits mit den Cheerleaderinnen. Oder wegen allem zusammen. Die jüngsten Informationen drohten mich zu überwältigen – Roboter! Mädchen mit übernatürlichen Kräften! Massive Schattenmänner! Kreaturen in Gläsern! –, doch zwang ich mich dazu, mich auf eine Sache zu konzentrieren, und das war Dalton. Die Schuppentür knarzte beim Öffnen. Ich blinzelte, als mir das Licht in die Augen stach. Niemand war in der Nähe. Es schien noch relativ früh zu sein – ich spürte die frühmorgendliche, feuchte Kälte, die Stille, weil noch keine Autos fuhren, noch keine Kinder wach waren und noch kein Fernseher lief. Es war schon Tag, doch war noch niemand auf. Meine
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