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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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unversehrt. Schmerzen hatte er keine.
    Das Gartentor quietschte. Während er über den Kiesweg auf die Haustür zuging, bemerkte er, daß das Gewehr weg war. Unwillkürlich ballte er die Fäuste.
    »Hooo!«
    Seine Stimme verhallte im Haus.
    Er steckte den Kopf in die Abstellkammer, in den Tischtennisraum. Nichts hatte sich verändert. Er stürmte in alle Schlafzimmer. Nichts schien berührt worden zu sein.
    Im Badezimmer wich er dem Gesicht im Spiegel aus. Der kurze Moment, in dem sich die Blicke trafen, genügte jedoch. Er sah, daß auf seiner Stirn etwas geschrieben stand.
    Das Glas unter seinen Fingern fühlte sich glatt und kühl an, als er dem Gesicht im Spiegel die Augen zuhielt. Er las, was jemand in Spiegelschrift, so daß er es richtig herum las, auf seine Stirn geschrieben hatte:
    MUDJAS !
    Er wußte nicht, was Mudjas bedeutete.
    Er betrachtete die Schrift genauer. Ein Plakatschreiber schien verwendet worden zu sein, und er war sich sogar sicher, den betreffenden Stift zu kennen. Er würde ihn draußen im Führerhaus des Lkws finden.
    Er starrte auf die gespiegelten Buchstaben.
    Vielleicht ist er der Richtige, und ich bin das Abbild?
    Ohne die Finger vom Glas zu nehmen, wusch er sich mit der freien Hand das Gesicht. Erst versuchte er es mit gewöhnlicher Seife. Als die Schrift nur etwas verblaßte, griff er zu einer Scheuerbürste, die auf dem Boden lag und mit der früher wohl die Kacheln gereinigt worden waren. Er hielt sie unter heißes Wasser, dann schrubbte er sich die Stirn.
    Nachdem er geduscht hatte, ohne an das Wolfsvieh zu denken, warf er seine zerrissenen Kleider in den Müll und zog frische Wäsche an. Als sein Blick auf seine Habseligkeiten im Koffer fiel, mußte er daran denken, daß er beim letztenmal, als er hier so gestanden und in den Koffer geblickt hatte, noch nicht gewußt hatte, was ihm bevorstand. Er hatte nicht gewußt, daß er zwei Tage durch den Wald irren würde. Und der Koffer, er war hier auf dem Tisch gelegen, die ganze Zeit über. Hatte sich nicht bewegt, hatte gewartet. War weder betrachtet noch benutzt worden.
    In der Küche des Gasthauses hängte er sein Mobiltelefon an die Ladestation. Überrascht stellte er fest, daß die Digitaluhr am Herd schon vier Uhr nachmittags anzeigte. Es hatte zu regnen aufgehört, doch über den Himmel zogen Wolken, und die Sonne war nicht zu sehen.
    Während der nasse Topf mit dem Wasser für die grünen Bohnen auf dem Herd knatterte, suchte Jonas nach Gegenständen, an die er sich erinnerte. Die Elektrogeräte in der Küche waren allesamt neu, wie auch der Fernseher, der durch ein Kabel mit der Satellitenschüssel auf dem Dach verbunden war. Eine Suppenterrine in einem Regal kam ihm bekannt vor. Er nahm sie heraus, drehte sie zwischen den Händen. Sie war so tief und breit, daß er fast den Kopf hätte hineinstecken können.
    Ein blauer Bierkrug mit der Aufschrift Lotta geriet ihm in die Hände. An Lotta hatte er seltsamerweise nie gedacht, seit er hier war. Dabei hatte er mit der hinkenden Magd zusammen oft die Hühner gefüttert. Offenbar war dies ihr angestammter Krug gewesen. Daß sie Bier getrunken hatte, daran erinnerte er sich.
    Er ging noch einmal langsam durchs Haus. Manchmal berührte er einen Gegenstand, schloß die Augen und prägte sich den Moment ein. In Tagen, Wochen, vielleicht Monaten würde er die Augen schließen und sich vorstellen, wie er jene Lampe oder jenen Flaschenöffner angefaßt hatte. Würde daran denken, was er dabei gedacht und gefühlt hatte. Und der dann längst vergangene Moment, der war jetzt. Genau
    jetzt.
    Er achtete darauf, daß alle Fenster geschlossen waren. Von der Schank nahm er sich einen Löffel mit Holzgriff als Andenken. In eine Tüte packte er Bier. Das Gesäß gegen den alten Holzofen gelehnt, aß er die gesalzenen und in Knoblauch gewendeten grünen Bohnen. Er spülte ab. Noch einmal bimmelte das Türglöckchen. Dann stand er auf der Terrasse.
    Er wußte, er würde nie mehr zurückkommen.
    Er trug den Spazierstock in den Holzkeller, wo er ihn hinter die Tür zurückstellte. Er betrachtete ihn eine Weile, dann nickte er ihm zu und ging hinaus.
    Er sperrte die Tür des Ferienhauses ab. Aus dem Tischtennisraum holte er einen Fauteuil, den er gegen die Tür rückte. Ihm war bewußt, daß diese Maßnahme mehr dazu diente, ihm die Illusion zu erhalten, er habe das Heft des Handelns noch nicht ganz aus der Hand gelegt.
    Er setzte sich in der Wohnküche auf die Truhe und trank Bier.
    Dort drüben hatte

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