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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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seine weißen, behaarten Beine unter der Decke herausschauten. Ein Seufzen war zu hören. Eine Minute später drehte er sich so weit, daß er aus dem Sichtfeld der zweiten Kamera gerutscht sein mußte. Mit dem Oberkörper lag er auf der anderen Betthälfte. Neben Maries unbenutztem T-Shirt für die Nacht.
    Jonas verzog den Mund. Mit dem Zucker hatte er es zu gut gemeint. Ihm war vorhin etwas gewärmter Whisky übriggeblieben. Er goß nach. Auch Zitronensaft schüttete er noch dazu.
    Nach eineinhalb Stunden drückte sich der Schläfer Maries Kissen auf das Gesicht.
    Das da ist die vergangene Nacht, dachte Jonas, und die heutige wird die gleiche sein. Ich werde liegen und schlafen, und es wird keinen Unterschied geben.
    Diesmal hatte er es mit dem Whisky übertrieben. Er stellte die Tasse weg. Der Grog war ohnehin schon ausgekühlt.
    Er rieb sich die Augen.
    Er wusch Gesicht und Nacken kalt ab. Im Spiegelschrank fand er ein Aspirin. Es war in Wasser aufzulösen, doch er ließ es auf der Zunge zergehen. Es prickelte.
    Zurück im Wohnzimmer, drehte er alle Lampen an. Das übliche dämmrige Fernsehlicht lullte ihn ein. Er braute sich einen gehaltvollen Kaffee.
    Der Schläfer schlief.
    Ich sollte das sein, dachte Jonas. Ich sollte das jetzt sein.
    Zwei Stunden und 58 Minuten nach Beginn der Kassette öffnete der Schläfer halb die Augen. Er wälzte sich herum. Stand auf. Zielstrebig ging er auf die Wand zu. Er prallte dagegen.
    Die Augen noch immer halb geöffnet, tastete er die Mauer ab. Er schien hineinzuwollen. Weder versuchte er es einen Meter weiter rechts oder links, noch streckte er sich oder beugte sich hinab. Er drückte die Hände gegen eine bestimmte Stelle an der Wand. Als wollte er hineinschlüpfen. Mit der Schulter stemmte er sich dagegen.
    Damit endete das Band.
    Nie zuvor war Jonas in seiner Wohnung so schnell von einem Zimmer ins andere gelaufen. Er untersuchte die Wand. Zu entdecken gab es nichts. Keine Zeichen, keine Geheimtür. Eine gewöhnliche Wand.
    Seine Müdigkeit war gewichen. Mit ein paar Sätzen stand er vor dem Fernseher. Er spulte zurück.
    Der Schläfer öffnete die Augen wie jemand, der durch ein Geräusch oder durch Liegen in unbequemer Stellung geweckt worden war. Erst wand er sich. Warf die Decke ab, stand auf. Die Wirklichkeit schien nicht zu ihm durchzudringen. Wie in einem Traum gefangen tappte er zur Wand und begann mit seinen Anstrengungen. Er gab keinen Laut von sich, und in die Kamera blickte er nie.
    Jonas betrachtete seine Hände. Die Nägel waren kalkig.
    Noch einmal ging er nach nebenan. Er legte sich aufs Bett, sah zur Wand. Auf demselben Weg wie der Schläfer wackelte er mit ausgestreckten Armen zu jener Stelle. Er drückte. Stemmte sich mit der Schulter dagegen.
    Er ließ den Blick schweifen. Nichts hatte sich verändert. Es war sein Schlafzimmer.
    Die zweite Kassette sah er sich im Schnelldurchlauf an. Wie erwartet enthielt sie nichts Interessantes. Nach einer Stunde wälzte sich der Schläfer aus dem Bild. Von den rätselhaften Geschehnissen am Ende war nichts aufgezeichnet.
    Alles in ihm sträubte sich, dennoch machte er eine Kamera für die Nacht aufnahmebereit. Auf die Kopfkissenkamera verzichtete er. Er trank den Rest des kalten Grogs.

10
    Er zwinkerte. Die Nachttischlampe blendete ihn. Er tastete nach dem Schalter, knipste sie aus, öffnete die Augen. Zwanzig vor zwölf. Die zweite Bettdecke lag auf dem Boden. Unter ihr befand sich die mit dem Stativ umgestürzte Kamera. Er hatte keine besondere Lust, darüber nachzudenken, was das nun wieder bedeutete. Er ließ alles liegen und machte sich Frühstück.
    Ehe er ins Bad ging, legte er eine leere Audiokassette in den Rekorder und drückte die Aufnahmetaste. Den Apparat drehte er so, daß dieser vom Badezimmer abgewandt war. Er duschte, putzte sich die Zähne, rasierte sich sorgfältig.
    Im Wohnzimmer zog er sich an. Er blickte auf die Uhr an der Mikrowelle. 12.30 Uhr. Seit zwanzig Minuten lief das Band.
    Direkt vor dem eingebauten Mikrophon des Rekorders sagte er:
    »Hallo, Jonas.«
    Mit geschlossenen Augen zählte er bis fünf.
    »Ich freue mich, mit dir zu sprechen. Wie geht es dir?«
    Drei, vier, fünf.
    »Bist du ausgeschlafen? Verspannt?«
    Fast eine Dreiviertelstunde sprach er. Er bemühte sich, gleich wieder zu vergessen, was er gesagt hatte. Ein Klicken des Rekorders verriet, daß die Kassette zu Ende war. Er spulte zurück. Unterdessen zog er sich fertig an.
    Vom Festnetz aus wählte er die Nummer seines

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