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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Mobiltelefons. Dieses läutete, er hob ab. Den Hörer des Festnetztelefons legte er seitwärts auf den Boden. Er stellte den Rekorder dicht davor. Drückte die Wiedergabetaste. Einen zweiten Rekorder postierte er daneben. Er legte eine Kassette ein, drückte die Aufnahmetaste. Das Gewehr über der Schulter, das Handy in der Linken, zog er die Wohnungstür zu.
    Er kreuzte durch Döbling. Fuhr durch Straßen, die er nie zuvor betreten hatte. Das Handy preßte er ans Ohr, um nichts zu versäumen. Mit der anderen Hand lenkte und schaltete er. Ihm fiel ein, daß er damit gegen einen Paragraphen der Straßenverkehrsordnung verstieß. Zunächst erheiterte ihn dieser Gedanke. Doch er führte ihn zu einer Grundsatzfrage.
    Gesetzt den Fall, er war wirklich allein, bedeutete das, er konnte eine neue Rechtsprechung erlassen. Gesetze galten so lange, bis sich die Mehrheit auf neue einigte. Wenn er die Mehrheit war, durfte er eine ganze Gesellschaftsform verwerfen. Ihm, dem Souverän, stand es frei, Diebstahl und Totschlag theoretisch straffrei zu stellen oder, auf der anderen Seite, Malerei zu verbieten. Die Herabwürdigung religiöser Lehren wurde in Österreich mit Freiheitsentzug bis zu einem halben Jahr bedroht. Er konnte dieses Gesetz aufheben oder verschärfen. Ein schwerer Diebstahl trug bis zu drei Jahre Haft ein, im Gegensatz zum nicht qualifizierten Diebstahl, und die relevante Summe betrug zweitausend Euro und mehr. Er konnte das ändern.
    Er konnte sogar gesetzlich festschreiben lassen, daß jeder Mensch täglich eine Stunde spazieren ging und dabei mittels eines Discman Volksmusik hörte. Er durfte allerhand Törichtes in den Rang eines Grundgesetzes befördern. Er hatte die Möglichkeit, eine andere Staatsform zu wählen. Ja sogar eine neue zu erfinden. Obgleich das System, in dem er lebte, faktisch Anarchie, Volksherrschaft und Diktatur zugleich war.
    »Hallo, Jonas.«
    Beinahe streifte er mit dem Wagen einen Müllcontainer am Straßenrand.
    »Ich freue mich, mit dir zu reden. Wie geht es dir?«
    »Danke, den Umständen entsprechend.«
    »Bist du ausgeschlafen? Verspannt?«
    Wen er da hörte, das war er. Vor einer Stunde hatte er diese Sätze gesprochen. Und nun geschahen sie, geschahen wieder. In diesem Moment wurden sie zu etwas, das sich ereignete. Das konkrete Auswirkungen hatte auf die Gegenwart.
    »Ausgeschlafen und nicht verspannt«, murmelte er.
    Ihm fiel der Unterschied auf zwischen der Stimme aus dem Hörer und jener, die er in sich vernahm. Die im Hörer klang höher und weniger einnehmend.
    »Es ist 12.32 Uhr. Und bei dir?«
    »Bei mir ist es 13.35 Uhr«, antwortete er nach einem Blick auf die Armaturen.
    Er erinnerte sich, wie er in seiner Wohnküche vor dem Rekorder gekniet und diese Sätze auf das Band gesprochen hatte. Er sah vor sich, wie er mit dem Ring an seinem Finger spielte, das Muster auf seiner Kaffeetasse betrachtete, das Hosenbein umstülpte. Er entsann sich, was er gedacht hatte, als diese Sätze gesprochen worden waren. Jenes war vergangen, dieses war jetzt. Und doch hatte das eine mit dem anderen zu tun.
    »An der nächsten Kreuzung fährst du nach links. Dann gleich nach rechts. Bei der übernächsten Gelegenheit wieder links. Vor dem zweiten Haus auf der rechten Straßenseite hältst du.«
    Die Anweisungen führten ihn in eine kleine Straße in Oberdöbling. Sein Kommandant hatte sein Tempo unterschätzt, und so trommelte Jonas eine Minute lang gegen das Lenkrad und rutschte auf dem Sitz hin und her.
    »Du steigst aus, nimmst das Gewehr mit, sperrst ab. Du gehst zu dem Gebäude. Handelt es sich um ein mehrstöckiges Haus, ist die unterste Wohnung dein Ziel. Dein Brecheisen benötigst du nicht, du steigst durch ein Fenster ein. Wenn du klettern mußt, mußt du eben klettern. Sei sportlich!«
    Er stand vor einer Villa. Am Gatter warnte ein Schild vor einem Schäferhund. Es war versperrt. Er kletterte über das Hindernis und lief zum Gebäude. In der Garageneinfahrt parkte ein Audi. Die Fenster am Haus waren mit Blumenkisten geschmückt. Dem Rasen links und rechts des gekiesten Gehwegs sah man an, daß er bis vor kurzem gepflegt worden war.
    Auf dem Türschild las er: Hofrat Bosch .
    »Achte auf die Scherben! Nun geh in die Küche.«
    »Langsam!«
    Er spähte durchs Fenster. Alarmanlage sah er keine. Mit dem Gewehrgriff schlug er die Scheibe ein. Glas regnete innen auf einen Teppich. Wirklich war kein Alarm zu hören. Eilig säuberte er den Fensterrahmen und kletterte ins Haus.
    »Mach

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