Die Arbeit der Nacht
Zugleich wurde ihm bewußt, daß er aus nichts weiter bestand als der Bewegung, die seine Hand gerade vollzog.
Er ließ los. Tief atmend starrte er auf die Tür.
»Aber bring es nicht mit nach Hause«, sagte die Stimme im Hörer.
Den Rest des Tags räumte er einem Roboter gleich Umzugskartons ein. Von einer Pause abgesehen, in der er sich im Gasthaus wie am Vortag Würstchen briet, arbeitete er bis zum frühen Abend durch.
Nicht das Erlebnis auf dem Flur der Villa verstörte ihn. Vielmehr lag ihm auf der Seele, was es mit der umgestürzten Videokamera auf sich hatte. Und gab es einen Zusammenhang mit dem seltsamen Verhalten des Schläfers? Lohnte es sich nachzuforschen, was sich in dieser Mauer befand? Sollte er etwa die Wand aufstemmen?
Nachdem er den letzten Karton verklebt hatte, betrachtete er die leeren Schränke und Regale. Es waren nicht so viele wie ehemals. Wohin war all der Hausrat gekommen, mit dem sie in der Hollandstraße gelebt hatten? War alles weggeworfen worden? Wo war das Bild, in das er von Kindheit an jeden Tag im Flur versunken war?
Jetzt, da er darüber nachdachte, fielen ihm weitere Gegenstände ein, die er vermißte. Das rote Fotoalbum. Das Schiff in der Flasche. Der Linolschnitt. Das Schachbrett.
Je nach Gewicht beförderte er die Kartons auf die Straße, indem er sie entweder trug oder über den Boden schleifte. Als alle Kartons verstaut waren, setzte er sich mit schweren Gliedern auf die Ladefläche des Pickup. Die Arme nach hinten gestützt, blickte er hoch. Da und dort stand ein Fenster offen. Statuen, die aus den Wänden ragten, starrten unnahbar über ihn hinweg. Der blaue Himmel war von unerbittlicher Makellosigkeit.
Der Abgang zum Keller war eng. In allen Ecken klebten Spinnennetze. Staubfäden hingen von der Decke. Die Wände waren schmutzverschmiert, der Verputz bröckelte ab. Jonas fröstelte. Obwohl er gebeugt die Stufen hinabging, schlug er sich zweimal den Kopf an. Panisch wischte er sich über Gesicht und Stirn, ob etwas Ekliges an ihm kleben geblieben war.
An der Kellertür haftete ein altes, verbogenes Schild, das mit einer drastischen Zeichnung vor Rattenködern warnte. Der obere Teil der Tür schloß vier Lichtfenster ein. Eines war zerbrochen. Der Gang dahinter lag im Dunkeln. Jonas schlug Geruch von Moder und Holz entgegen.
Er brachte das Gewehr in Anschlag. Ein kräftiger Tritt öffnete die Tür. Laut singend knipste er mit einer raschen Bewegung Licht an.
Es war ein alter Gemeinschaftskeller. Als Wände hatten die Abteile Holzzäune, die oben und unten eine Handbreit frei ließen. Der Boden war nicht gezimmert, sondern bestand aus festgetretener Erde, die mit einigen faustgroßen Steinen durchmischt war.
Jonas war nie hier unten gewesen. Das Abteil seines Vaters fand er dennoch sofort. Er erkannte einen handgeschnitzten Spazierstock wieder, der zwischen zwei Holzlatten hindurch auf den Gang strebte und mit dem sein Vater einst in Kanzelstein durch die Wälder gestreift war. Die Schnitzereien hatte nicht er selbst angefertigt. Sie stammten von einem zahnlosen Altbauern, der in dieser Kunst geübt war und bei dessen Hof Jonas allmorgendlich frische Kuhmilch holte. Er fürchtete den Alten. Eines Tages rief dieser ihn zu sich und schenkte ihm einen kleinen geschnitzten Spazierstock. Nach all den Jahren konnte sich Jonas noch erinnern, wie jener Stock ausgesehen hatte. Stolz war er damit umherspaziert, und den schweigsamen Greis hatte er von da an verehrt.
Er vergewisserte sich, daß er allein war und ihm aus den trüb beleuchteten Gängen ringsum keine Überraschung drohte. Aus einem davon drang so intensiver Ölgeruch, daß sich Jonas den Ärmel seines Hemds vor das Gesicht hielt. Einer der Tanks, in denen die Bewohner das Heizöl für ihre Zimmeröfen speicherten, mußte undicht sein. Gefahr bestand indes sicher nicht, solange er nicht mit Feuer hantierte.
Er zog den Schlüsselbund seines Vaters aus der Tasche. Der zweite Schlüssel paßte. Ehe Jonas das Abteil betrat, lauschte er hinter sich. Ab und zu war gedämpft das Tropfen eines Wasserhahns zu vernehmen. Die verstaubte Glühbirne an der Wand flackerte. Es war kühl.
Mit einem Ermunterungsruf wandte er sich dem Abteil zu. Er prallte zurück.
Das Kellerabteil seines Vaters war zum überwiegenden Teil mit den Kartons verstellt, die er gerade in den Lastwagen geladen hatte.
Das Gewehr schußbereit, drehte er sich im Kreis. Dabei streifte der Lauf einige Töpfe und Schalen aus einem Regal, die unter
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