Die Arbeit der Nacht
Stöcke Herbst . Unter dem Gesicht eines Mannes, der Jonas bekannt vorkam, stand: Bodenfleisch .
Zwischen den Kunstwerken hing eine Schlüsselleiste. Einer sah aus wie ein Autoschlüssel. Kurz bedachte Jonas, daß er mit der DS zurückfahren mußte, wollte er im Geist der Unternehmung handeln. Er tippte sich an die Stirn. Der ganze Ausflug war eine Höllenidee gewesen, und jetzt war es an der Zeit, sich das einzugestehen.
Unter einem Regenschirm, der den Geruch von Wald verströmte, lief er die auf der Straße geparkten Autos ab. Nachdem er den Schlüssel dreimal erfolglos ausprobiert hatte, überlegte er, ob es nicht eine Möglichkeit gab, die Suche abzukürzen. Welches Auto fuhr ein Mensch, der lebte wie der Besitzer dieses Hauses? War er jemand, der in einem VW oder Fiat Platz nahm? Bestimmt nicht. Männer, die wohnten wie dieser zwergwüchsige Dicke, fuhren entweder kompakte kleine Autos oder behäbige Schlitten.
Er blickte nach allen Seiten. Ein Mercedes fiel ihm auf, doch es war ein zu neues Modell. Ein 220 Diesel aus den siebziger Jahren hätte sich ins Bild gefügt.
Ein dunkler, unauffälliger Geländewagen. Nicht zu groß, mit Allradantrieb.
Jonas lief über die Straße. Der Schlüssel paßte. Der Motor sprang sofort an. Er drehte die Heizung auf die höchste Stufe. Den Regler schaltete er so, daß sie auf seine Füße blies. Er würde barfuß fahren müssen. Die Hauspantoffeln, in die er geschlüpft war, waren vier Nummern zu klein, und in seinen eigenen Schuhen stand das Wasser.
Ohne den Motor abzustellen, ging er zurück, um seine Habseligkeiten zu holen. Weil ihn interessierte, wessen Gast er war, suchte er nach einem Türschild. Als er nicht fündig wurde, wühlte er im Altpapier nach Rechnungen, Zahlscheinen, Briefen. Nichts davon kam ihm unter. Im ganzen Haus gab es keinen Hinweis auf die Identität des Besitzers.
13
Sein erster Blick galt der Kamera. Unverrückt stand sie da.
Er zwinkerte. Rieb sich die Augen. Versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er war nach der langen Reise ins Bett gefallen, ohne eine Kassette einzulegen. Er war nicht unglücklich darüber.
Sein Hals kratzte. Beim Schlucken tat es weh.
Er schloß die Augen und drehte sich noch einmal auf die andere Seite.
Er lief hinunter zum Supermarkt. Fruchtsaft und H-Milch packte er in eine Tüte, sowie einen in Plastik verschweißten Marmorkuchen, der laut Aufdruck bis Ende Oktober haltbar war. Als er das Datum las, krampfte sich ihm der Magen zusammen. Ende Oktober. Würde er Ende Oktober noch immer durch diese verlassene Stadt laufen? Was geschah bis dahin? Was danach?
Was im Dezember?
Im Januar?
Er nahm den Spider. In der Innenstadt rüttelte er an den Türen verschiedener Cafés. Sie waren versperrt. Ein offenes fand er erst in der Himmelpfortgasse.
Während hinter ihm die Espressomaschine fauchte, schnitt er vom Kuchen Scheiben ab und schenkte sich Orangensaft ein.
Ende Oktober.
Januar. Februar.
März. April. Mai. September.
Er starrte auf den Kuchen, den er nicht angerührt hatte, und er wußte, daß er keinen Bissen hinunterbekam.
Er holte sich noch eine Tasse Kaffee. Im Vorbeigehen nahm er eine in den Halter gespannte Zeitung und überflog zum hundertstenmal die Nachrichten vom 3. Juli. An seinem Espresso nippte er nur. Einmal meinte er aus dem Untergeschoß, wo die Toiletten lagen, ein Geräusch zu vernehmen. Er machte ein paar Schritte auf den Treppenabgang zu, lauschte. Es war nichts mehr zu hören.
In der Apotheke nahe dem Café suchte er nach Vitamintabletten und Aspirin. Aus einer Flasche Echinacin tropfte er das Doppelte der vorgeschriebenen Menge. Ein Halswehbonbon lutschend, schlenderte er zurück zum Wagen. Er fuhr langsam zum Stephansplatz. Dort setzte er sich auf das Dach des Spider.
Vereinzelt trieben Wolken über den Himmel, Wind blies. Kündigte sich bereits der Herbst an? Nein, das war unmöglich. Nicht im Juli. Ein Zwischentief. Herbst, das war Oktober. Ende Oktober.
Und dann kam November. Dezember. Januar. Dreißig Tage. Einunddreißig. Und wieder einunddreißig. Zweiundneunzig Tage von Anfang November bis Ende Januar, an denen er vierundzwanzig Stunden zu leben hatte. Und auch davor und danach Stunden und Tage. Die er allein zu leben hatte.
Er rieb sich die nackten Oberarme. Er betrachtete das Haas-Haus. Betreten hatte er es nie. Mit Marie wollte er das Do&Co besuchen, doch es war nie dazu gekommen.
Er überblickte den leeren Platz. Nahm die Statuen in Augenschein, die allerorts aus den
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