Die Arbeit der Nacht
rasch, daß er zusehen konnte, wie sie dünner und dünner wurden, ehe sie nur noch eine Ahnung waren. Mit dem Jackenärmel wischte er sich über das Gesicht. Kurz roch er den Duft, den das nasse Leder verströmte.
Er fuhr zurück zum Zelt. Es war nicht da. Er kreuzte umher, fand nichts. Nun wußte er nicht mehr genau, wo auf der Wiese er war. Seiner Erinnerung nach mußte sich der Bootsverleih hinter ihm befinden, der Parkplatz zu seiner Rechten, sein verschwundenes Lager halb links vor ihm. Er fuhr Richtung Parkplatz. Zu seiner Verwunderung tauchten vor ihm die Umkleidekabinen aus dem Nebel auf. Immerhin wußte er nun, wo er war. Ohne Schwierigkeiten fand er zum Parkplatz. Den Opel sah er nicht. Er folgte den auf den Asphalt gemalten Pfeilen, die den Weg zur Bundesstraße wiesen.
Er zog den Kopf ein und machte einen Katzenbuckel. Mit beruhigend stetiger Geschwindigkeit entfernte er sich von dem Badeplatz. Er hatte das Gefühl, jede Sekunde könnte ihn von hinten eine Hand fassen. Es wich, als der Nebel auflockerte. Bald waren die Bäume am Straßenrand zu sehen, schließlich auch die blumengeschmückten Pensionen, an denen er vorbeikam.
Er überlegte, sich in einem der Häuser frische Kleider zu besorgen und vielleicht sogar einen Regenschutz. Auch eine heiße Dusche hatte er nötig. Und wenn er sich nicht erkälten sollte, dann rasch. Doch etwas ließ ihn den Gashebel am Anschlag festhalten.
In Attersee-Ort drang er in ein unscheinbares Café ein, das in einer Seitenstraße lag. Das Moped ließ er nicht vor dem Haus stehen, sondern zog es mit sich und lehnte es gegen eine geplüschte Sitzbank. Wenn wirklich jemand hinter ihm war, würde er so seine Spur verlieren.
Er machte sich Tee. Mit der dampfenden Tasse in der Hand stellte er sich ans Fenster. Er verbarg sich hinter einem Vorhang, so daß er von draußen nicht zu entdecken war. In die Tasse pustend, starrte er in eine Pfütze, die sich über die gesamte Straßenbreite erstreckte und vom Regen unvermindert in ein schäumendes Gewässer verwandelt wurde. Nase und Ohren fühlte er kaum. Er war bis auf die Unterhose durchnäßt. Unter ihm auf dem Teppich breitete sich allmählich ein Wasserfleck aus. Er zitterte, doch von der Stelle rührte er sich nicht.
Er machte sich noch eine Tasse. Das bedrückend enge Hinterzimmer, das als Küche gedient zu haben schien, durchsuchte er nach Eßbarem. Er fand einige Konservendosen. In einem nicht besonders sauberen Topf, den er auf eine tragbare Kochplatte stellte, wärmte er zwei davon. Er aß gierig. Gleich nach der Mahlzeit nahm er wieder seinen Platz am Fenster ein.
Die Uhr neben der Vitrine mit den Gläsern zeigte Mittag an, als er sich aufraffte. Durch eine beschilderte Tür, die zu den Toiletten führte, gelangte er zu einem Stiegenaufgang. Die Wohnung in der oberen Etage war unversperrt. Er machte sich auf die Suche nach passender Kleidung. Offenbar hatte hier eine alleinstehende Frau gelebt. Mit leeren Händen lief er die Treppe hinab.
Nachdem er auf der Menütafel eine Nachricht mit Datum hinterlassen hatte, öffnete er die Tür des Cafés, startete das Moped und fuhr auf die Straße. Regen prasselte ihm ins Gesicht. Er schaute nach links, nach rechts. Keine Bewegung. Nur Regen, der in die Pfützen nadelte.
Im Sportgeschäft beschaffte er sich einen Sturzhelm, der ihn weniger vor den Gefahren der Strecke als vor dem Wetter schützen sollte. Auch einen Ganzkörperregenschutz aus transparentem Plastik streifte er über. Den bereits entstandenen Schaden behob dies nicht, und er war drauf und dran, in andere Wohnungen einzubrechen, um die nasse Kleidung loszuwerden. Doch noch stärker war sein Verlangen, aus dieser Gegend zu verschwinden.
Solch einsame Tage hatte er auch früher erlebt. Es regnete unablässig, Nebel hing über den Feldern, den Straßen, zwischen den Häusern, es war zu kalt für die Jahreszeit. Draußen trieb sich niemand herum, der nicht mußte. Solche Tage hatte er geliebt, wenn er zu Hause im Warmen vor dem Fernseher lag, und sie hatten ihn verdrossen, wenn ihn ein ungünstiges Geschick auf die Straße verschlagen hatte. In dieser Gegend jedoch, mit den Bergen, den strengen Nadelbäumen, den verlassenen Hotels und den leeren Kinderspielplätzen, hier hatte er das Gefühl, daß die Landschaft nach ihm griff. Und wenn er sich nicht beeilte, würde er nicht mehr wegkommen.
Mit Höchstgeschwindigkeit fuhr er über die Bundesstraße. Ihn fror so fürchterlich, daß er sich zur Ablenkung alle
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