Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
Vom Netzwerk:
Holzzaun. Zwischen den Latten ragte ein mit Schnitzereien verzierter Spazierstock hervor.
    Er lag tatsächlich auf Steinen. Auf festgestampfter Erde und Steinen.
    Wenige Meter entfernt vernahm er Stimmen und das Klirren von Gläsern. Eine Tür fiel ins Schloß, die Geräusche verstummten. Kurz darauf knarrte die Tür wieder. Eine Frauenstimme sagte etwas. Die Tür ging zu, die Geräusche waren weg.
    Er stand auf und ging hin.
    Er kam genau zum rechten Zeitpunkt. In der Mitte des dunklen Ganges hörte er direkt neben sich erneut das Knarren der Tür. Ein Mann rief etwas, es klang wie ein Glückwunsch. Hinter ihm hob fröhliches Gelächter an. Es mußten Dutzende Personen sein. Eine schrille weibliche Stimme gesellte sich zu der des Mannes. Sie unterhielten sich in beschwingtem Ton, dann erklang wieder das Klirren der Gläser.
    Er stand daneben. Aber er sah nichts. Nicht die Tür. Nicht die Frau. Nicht den Mann.
    Die Tür fiel zu. Er stellte sich genau an die betreffende Stelle. Er stand auf der Türschwelle. Nichts.
    Die Tür knarrte auf. Im Gesicht spürte er fein den Luftzug. Stimmengewirr. Jemand klopfte an ein Glas und räusperte sich. Es wurde ruhig. Die Tür fiel zu.
    »Hallo!«
    Als er gegen Mittag erwachte, bekam er durch die Nase keine Luft, der Hals brannte, sein Durst schien unstillbar, doch das Fieber, so fühlte er gleich, war gewichen.
    Er schob die Matratze von sich. Setzte sich auf. Trank die zweite Wasserflasche leer, ohne abzusetzen. In der Küche fand er Zwieback. Er hatte keine Schmerzen, aber er wollte seinem Organismus jetzt keine Anstrengung zumuten. Er putzte sich die Nase.
    Als er auf die Straße trat, wurde ihm von der frischen Luft schwindlig. Er lehnte sich gegen die Hausmauer und stützte die Stirn mit der Hand. Die Sonne schien, sanfter Wind blies. Das Tief war weitergezogen.
    Er ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und klappte den Sonnenschutz herunter. Im Spiegel auf der Innenseite betrachtete er sich. Er war blaß. Auf seinen Wangen standen rote Flecken. Er streckte die Zunge heraus. Sie war belegt.
    Er drückte sich alle Tabletten, die ihm helfen konnten, auf die Hand und warf sie ein. Den Kopf zurückgelegt, tropfte er sich das Echinacin direkt in den Mund. Er lehnte den Kopf gegen die Nackenstütze und blickte auf das Armaturenbrett. Er merkte, wie schwach seine Beine waren. Doch er hatte kein Fieber mehr.
    Er ging mit sich zu Rate, wie er den Tag verbringen sollte. Untätig herumliegen wollte er nicht. Filme konnte er nicht ansehen, weil sie ihn verstörten. Lesen konnte er nicht, weil ihm jede Lektüre unbedeutend und überflüssig erschien. Entschloß er sich zu einem Schontag im Bett, blieb ihm nichts, als an die Decke zu starren.
    Auf dem Weg zurück zur Wohnung wandte er sich plötzlich dem Treppenabgang zu, ohne sich selbst darüber Rechenschaft zu geben. Seine Schritte führten ihn zur Kellertür. Er hob das Gewehr.
    »Jemand hier?«
    Mit dem Lauf stieß er die Tür auf. Er machte Licht. Hielt inne.
    Der Wasserhahn tropfte.
    Er trat ein. Ein kühler Luftzug strich ihm um den Kopf. Der Geruch von Werkstoff war durchdringend. Er hielt sich den Hemdsärmel vor die Nase.
    In der Mitte des Ganges blieb er stehen.
    »Hallo?«
    »Ist hier jemand?«
    Er ließ das Gewehr sinken. Die Spieluhr fiel ihm ein.
    Er faßte nicht mehr als fünf Kameraschachteln zugleich, und er ging schleppend wie ein Greis. Dennoch brach ihm auf dem Weg vom Auto zum Lift Schweiß aus. Mit dem freien kleinen Finger drückte er den Rufknopf. Die Tür schnappte auf, und er stellte die Schachteln zu den anderen in die Kabine. Um alle auf einmal zu transportieren, war sie zu eng. Er mußte zweimal fahren.
    Auf der Couch streckte er Arme und Beine von sich. Schnaufend atmete er durch den Mund. Als er wieder bei Kräften war, preßte er sich Mentholgel aus der Tube in die Nase. Es brannte, doch kurz darauf konnte er frei atmen.
    Er packte aus. Zwanzig Kameras und sechsundzwanzig Stative mußten von Luftblasenfolie befreit werden, zwanzig Battery Packs hatte er in die Ladestation zu klemmen und an den Strom anzuschließen. Gewissenhaft lud er auch noch einmal die älteren Akkus auf, die er im Einkaufszentrum besorgt hatte, einschließlich jener, die in den Kameras vor dem Bett und neben dem Fernseher steckten.
    Ob er sich das Video von der Nacht vor seiner Abfahrt zum Mondsee ansehen sollte? Er hatte noch immer keine Ahnung, warum er an jenem Morgen im Wohnzimmer erwacht war. Durch das Band würde er es

Weitere Kostenlose Bücher