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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Bestimmtheit.
    Er streifte T-Shirt und Hose über, gefolgt von Strümpfen und Stiefeln. Er schlüpfte in den Pullover. Er beeilte sich, mit dem Kopf aus dem Ausschnitt zu kommen.
    Er ging zum Moped. Sofort sah er, daß der Benzinhahn offenstand. Im günstigsten Fall bedeutete das, daß sein Gefährt erst nach zehn oder fünfzehn Tritten auf den Kickstarter anspringen würde. Schon als Junge hatte er mitunter vergessen, den Hahn zu schließen.
    Er suchte die Gegend nach Spuren ab. Er fand nichts. Keine Abdrücke von fremden Schuhen oder Reifen in der Wiese, kein niedergedrücktes Gras, keine Veränderung ringsum. Er blickte zum Himmel auf. Der Wetterumschwung war unvermittelt gekommen. Die Luft war so feucht wie im Spätherbst. Der Nebel, der über der Wiese lag, schien immer dichter zu werden.
    »Hallo?«
    Er rief in Richtung des Parkplatzes, dann quer über die Wiese. Er rannte zum Ufer und schrie aus voller Kehle über den See.
    »Hooo!«
    Kein Echo. Der Nebel schluckte jeden Laut.
    Jonas konnte das andere Ufer nicht ausmachen. Er kickte einen Stein ins Wasser, der mit sattem Platschen versank. Unschlüssig tapste er unter den Bäumen am Ufer entlang. Er blickte zum Zelt. Hinüber zum Bootsverleih, auf dessen Dach ein Wimpel flatterte. Hinaus aufs Wasser. Es begann zu nieseln. Zunächst hielt er es für Nebelreißen. Dann merkte er jedoch, daß die Tropfen dichter fielen. Er schaute hinüber zum Bootsverleih. Kaum war noch der Steg zu sehen. Mehr und mehr hüllte der Nebel alles ein.
    Den Blick keine Sekunde vom Zelt abwendend, begann er den Rucksack zu packen. Die Unterseite war naß. Jonas fluchte. Er griff hinein. Zu seinem Unglück steckte ganz unten der zweite Pullover. Feuchtigkeit war durchgesickert. Er fragte sich, woher sie kam. Vom Morgentau und dem Regen allein konnte sie nicht stammen. Und er hatte nichts ausgeschüttet.
    Er schnupperte daran. Es roch nach nichts.
    Als er sich auf das Moped setzte, hatte der Nebel die Bäume am Ufer verschluckt. Auch das Gasthaus war nicht mehr zu sehen. Ein heller Fleck auf dem Parkplatz, so ahnte Jonas, war der Opel, aus dem er die Luftmatratze genommen hatte.
    Er trat so oft auf den Kickstarter, bis ihm kalter Schweiß von der Stirn lief. Der Motor war in Benzin ertränkt. Jonas hüpfte wild auf die Kurbel, glitt ab, kippte mit dem Moped um. Stellte es wieder auf, versuchte es von neuem. Der Regen wurde stärker. Die Reifen rutschten durch das durchtränkte Gras. Jonas war von Nebel eingehüllt. Wenige Meter vor ihm prasselte der Regen auf das Zelt. Was dahinter war, sah er nicht mehr. Er wischte sich über das Gesicht.
    Während er verbissen auf den Starter trat und sein Herz immer heftiger klopfte, dachte er über einen Ausweg nach. Ihm kam nur der Opel in den Sinn. Aber er hatte keinen Schlüssel gesehen. Er erwog, das Moped zu einem Hang zu schieben, von dem er hinunterrollen und dann den Gang einkuppeln konnte, was eine gewisse Chance bot, den Motor zu starten. Ihm fiel allerdings in der Nähe keine passende Stelle ein. Von seinem Standort sank die Wiese zwar in Richtung Ufer ab, das Gefälle war jedoch viel zu schwach.
    Schließlich brummte der Motor auf. Ein Gefühl von Glück und Dankbarkeit erfüllte Jonas. Rasch gab er im Leerlauf Gas. Es klang kräftig und verläßlich. Dennoch nahm er die Hand nicht vom Griff, damit der Motor nicht wieder abstarb. Er mußte ein Akrobatenstück vollführen, um sich den Rucksack umzuschnallen. Das Gewehr hängte er sich einstweilen über. Schmerz zuckte in ihm auf, als der Riemen voll auf der Schulter lastete.
    Nach allen Seiten zwinkerte er in den Regen, ob er etwas stehengelassen hatte. Es blieb einzig das Zelt mit dem Schlafsack darin. Allerdings endete seine Sicht an den Zeltstangen.
    Er wendete, fuhr zwanzig Meter in die Richtung der Umkleidekabinen, drehte wieder um. Das Zelt war nicht mehr zu erkennen. Er mußte seiner Reifenspur folgen.
    Vorsichtig gab er Gas. Der Hinterreifen brach aus, fing sich wieder. Jonas erhöhte das Tempo. Er sah das Zelt und hielt darauf zu.
    Das Geräusch beim Anprall war überraschend leise. Aus dem Boden gerissene Heringe flogen ihm um die Ohren. Eine Ecke des Überdachs verhedderte sich an der Fußraste, wurde einige Meter mitgeschleift. Im schlierigen Gras hatte er Mühe, einen Sturz zu vermeiden. Als er das Moped unter Kontrolle hatte, bremste er.
    Er blickte zurück. Der Nebel war so dicht, daß vom Zelt nichts zu sehen war. Selbst die Reifenspuren lösten sich im Regen auf, so

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