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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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das Gefühl selbst, eine primitive
Urangst, war nicht abzuschütteln. Sein Leben war in großer
Gefahr, und er rannte vor irgendetwas davon. Mit einer Hand hing er
an einem straff gespannten Metallseil. Er schaute daran entlang
– nach oben –, sah ein Schiff, eine Korvette, über
sich schweben und wusste oder hoffte, dass dies sein Ziel war.
    Er fing an, sich an der Leine zu dem wartenden Schiff empor zu
ziehen. Er hatte eine verschwommene Erinnerung daran, etwas in Gang
gebracht zu haben und nun nicht einfach aufhören zu können.
Dann wurde der Schmerz stärker und stürzte ihn in die
Bewusstlosigkeit zurück.
    Er kam wieder zu sich, als er von der Plastikmembran aufgefangen
wurde – ›aufprallen‹ wäre ein zu starkes Wort
gewesen. Wieder spürte er diese innere Unruhe. Er ahnte, dass er
sich in einer Notlage befand, ohne sie jedoch vollends zu
durchschauen. Über ihm war das Schiff – das hatte er vom
letzten Mal noch in Erinnerung. Er hatte sich am Haltetau entlang
gehangelt, um es zu erreichen. Oder hatte er vielleicht in die andere
Richtung gestrebt, wollte er vor etwas fliehen, was sich an Bord
befand?
    Er schaute seitwärts über die Fläche, auf der er
lag, und sah zwei Gestalten, die ihm zuwinkten.
    [Clavain…]
    Die Stimme – die weibliche Präsenz in seinem Kopf –
war mächtig, aber nicht ganz und gar ohne Erbarmen. Er
spürte Bedauern darin, aber es war das Bedauern eines Lehrers,
der von einem vielversprechenden Schüler enttäuscht worden
war. Enttäuscht, weil er im Begriff war zu scheitern, oder
enttäuscht, weil er sein Ziel fast erreicht hätte?
    Er wusste es nicht. Wenn er nur eine Minute Ruhe hätte, wenn
er alles durchdenken könnte, würden sich die Teile schon
wieder zu einem Bild zusammenfügen. Hatte er nicht etwas
gesehen? Einen riesigen Raum voll mit schwarzen, bedrohlichen
Schatten?
    Nur einen Augenblick Ruhe und Frieden.
    Doch er hatte ständig einen schrillen Ton im Ohr: die
Druckverlustwarnung. Er warf einen Blick auf seinen Anzug, suchte
nach dem pulsierenden rosa Licht, das ihm das Leck verriet. Da war
es: ein rosiger Fleck auf dem Handrücken. Die Finger hielten ein
Messer. Er steckte es in das leere Behältnis an seinem
Gürtel zurück und griff instinktiv nach dem Dichtungsspray.
Dann sah er, dass er das Spray bereits aufgetragen hatte; der rosa
Fleck quoll unter einer vielfach verschlungenen Kruste
ausgehärteter Dichtungsmasse hervor. Ein harter grauer Wurm wie
eine komplizierte Runenschrift.
    Er betrachtete den Handschuh aus einem anderen Blickwinkel und
entdeckte in den Schnörkeln eine krakelige Schrift: SCHIFF.
    Es war seine eigene Handschrift.
    Die beiden Gestalten hatten die Enden der Schnittwunde im Eis
erreicht und näherten sich nun, so schnell sie konnten, von zwei
Seiten seiner Position. Seiner Schätzung nach würden sie
das Haltetau in weniger als einer Minute erreichen. Fast ebenso lang
würde er brauchen, sich daran nach oben zu hangeln. Vielleicht
sollte er springen und sich einfach darauf verlassen, dass er den
Abstoß richtig dosierte und nicht an der Korvette
vorbeisegelte, aber irgendetwas sagte ihm, dass die klebrige Membran
einen solchen Sprung nicht zulassen würde. Er musste sich Hand
über Hand emporziehen, obwohl er rasende Kopfschmerzen hatte und
immer noch am Rand einer Ohnmacht war.
    Wieder wurde ihm schwarz vor den Augen, doch diesmal kam er
schneller wieder zu sich, und der Anblick seines Handschuhs und der
Gestalten, die unten auf ihn zustrebten, verriet ihm sofort, dass er
mit dem Schiff das richtige Ziel gewählt hatte. Er erreichte die
Schleuse genau in dem Moment, als die erste Gestalt – sie trug
einen Spezialhelm mit einem Kamm – das stachelbewehrte Haltetau
erreichte.
    Seine Sinne zeigten ihm die Oberfläche des Kometen als
senkrechte schwarze Wand, aus der die Leinen horizontal
hervorwuchsen. Seine beiden Verfolger klebten wie Fliegen an dieser
Wand, zusammengekauert, perspektivisch verkürzt und im Begriff,
dieselbe Brücke zu betreten, die er soeben überquert hatte.
Clavain ließ sich rücklings in die Schleuse fallen und
drückte mit der Hand auf den Notschalter für die
Belüftung. Die Außentür schloss sich lautlos; Luft
strömte ein. Der Schmerz in seinem Kopf ließ schlagartig
nach, er atmete erleichtert auf.
    Die Notschaltung öffnete die innere Tür, fast bevor die
äußere noch vollends abgedichtet war. Clavain sprang mit
einem Satz in die Korvette, stieß sich von der
gegenüberliegenden Wand ab, knallte mit dem

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